Hamburg. David Bösch präsentiert mit „Don Pasquale“ eine hinreißende Donizetti-Komödie – mit verblüffenden Anspielungen.

Irgendwie schon mal gesehen, das Ding … natürlich! Der stahlgraue Quader, der sich da auf der fast kahlen Staatsopernbühne erhebt, ist ein Wiedergänger des berühmtesten Geldspeichers der Comic-Geschichte. Drinnen Stapel von Notenbündeln. Über der Tür prangt in Versalien der Name seines Besitzers, Don Pasquale. Der Held von Donizettis gleichnamiger Oper badet in Geld. Ganz wie Dagobert Duck. Oder wie ein gewisser Klaus-Michael Kühne.

Nach der Sensationsnachricht vom Wochenende könnte glatt der Eindruck entstehen, dass der Regisseur David Bösch hellseherische Fähigkeiten hat. Denn die Idee mit dem Geldspeicher war eindeutig schon vor jenem „Spiegel“-Artikel in der Welt, der Kühne schlagartig als Akteur auf die kulturlokalpolitische Bühne zurückbrachte, indem er der Stadt Hamburg nicht nur einen von ihm selbst finanzierten Opernneubau vorschlug, sondern der bestehenden Staatsoper auch direkt mangelhafte Akustik und fehlende Strahlkraft attestierte. Für Foyer-Gespräche zur Premiere war gesorgt.

Don Pasquale in der Staatsoper: Gelächter am Premierenabend

Pasquale, Duck, Kühne: Er hat was, dieser Zirkelschluss. Das Glück ist (nicht immer, aber in diesem Fall) mit dem Talentierten. Die Idee passt zu David Bösch, der nach einer hochgelobten Inszenierung von Massenets „Manon“ in der vorigen Saison im Oktober als Einspringer höchst kurzfristig die Premiere von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ rettete. Für die Neuproduktion von „Don Pasquale“ war Bösch mit seriösem Vorlauf engagiert worden, und doch erinnert seine Handschrift in vielem an die Spontan-„Entführung“.

Wollte man diese Handschrift auf eine Formel bringen, sie müsste „Übermut“ lauten. Donizetti hat ohnehin schon eine turbulente Komödie geschrieben, Bösch und sein Team drehen das Stück gnadenlos ins Heute weiter. Sie nehmen jeden Kalauer mit, sind sich auch für die nahe liegenden Ideen nicht zu schade – und jede zündet, das Gelächter am Premierenabend verrät es deutlich.

Don Pasquale wird zum HSV-Hauptsponsor ausgerufen

Klar eignet sich die Tresortür, um wahlweise hochemotionale Handy-Textnachrichten (einschließlich Eingangs-Pling) oder Boulevard-Schlagzeilen darauf zu projizieren. Da sorgt sich die Lokalpresse, wer den erfolgreichen Geschäftsmann Don Pasquale nach seinem Herzinfarkt beerben wird. Und dass er auch noch zum HSV-Hauptsponsor ausgerufen wird, ist entweder geniale Vorahnung oder Geistesgegenwart.

Videoprojektionen und andere zusätzliche Ebenen können in der Oper ganz schön nerven. Hier nicht. Böschs viele kleine Regieeinfälle durchdringen das Stück virtuos. Dass Don Pasquale ist nicht nur ein reicher Hagestolz ist, sondern auch so übergewichtig wie der grandiose Bariton und Darsteller Ambrogio Maestri, wird zum Teil der Handlung. Der Magnat legt sich erst mal einen Hometrainer zu. Für die Gesundheit, klar, allein die Mühen des Aufsteigens sind reinster Slapstick. Aber er will auch in Form kommen, weil er sich mit Hochzeitsgedanken trägt. Netter Nebeneffekt: Sein Neffe Donald, äh, Ernesto wäre als Erbe aus dem Spiel.

Handlung beruht auf doppelter Intrige

Donizetti hat seine Figuren aus der Commedia dell’Arte entlehnt, daher die holzschnittartige Konstellation. Zugleich zeichnet er die Persönlichkeiten in Lebensgröße, mit charakterlichen Widersprüchen und echten Gefühlen. Wie es sich für die Opera buffa der Zeit gehört, beruht die Handlung auf einer doppelten Intrige. Die hat sich Don Pasquales Arzt Malatesta ausgedacht, agil gesungen und mit viel Spielwitz verkörpert vom hauseigenen Bariton Kartal Karagedik.

Die Motivationslage ist also geringfügig unübersichtlich. Aber so quirlig Bösch das Ganze inszeniert, es bleibt jederzeit verständlich, wer wie und warum handelt. Das liegt an der piekfeinen Personenregie. Dieser Regisseur ist seinen Figuren nah. Kein Mensch ist im Inneren jemals statisch. Gedanken und Gefühle sind ständig in Bewegung, und Bösch übersetzt das in Gesten, Blicke, in Mini-Erzählungen, die auf den Gang der eigentlichen Geschichte einzahlen. Wie sich Maestri dem Hometrainer widerwillig nähert, zögert, sich erstmal das Schweißband über die Augen zieht und dann zu Beginn seiner Arie langsam zu treten beginnt, das zeugt von Liebe zum Detail und entwickelt sich auch noch am Duktus der Musik entlang.

Norina als durchtriebene Braut und Schein-Ehefrau

Maestri als Pasquale und die Sopranistin Danielle de Niese als Norina, die angebliche Unschuld vom Lande, in Wahrheit aber durchtriebene Braut und Schein-Ehefrau, schenken sich szenisch nichts, Outfits und Ohrfeigen fliegen nur so. Und das alles in einem halsbrecherischen Silbenstaccato, das jedem Rapper zur Ehre gereichen würde. Wenn Don Pasquale erschöpft in einen Stuhl sinkt und seine Silben in einer Tonlage gleichsam ausstößt, dann begreift nicht nur er, sondern auch der Betrachter, dass das Scheitern seines Plans auch einen tiefgreifenden Abschied bedeutet. Maestri gelingt ein differenziertes Rollenporträt, er singt geistreich, sonor, mit müheloser Eleganz.

Danielle de Niese dagegen kaschiert mit ihrer Bühnenpräsenz, dass ihrem Timbre schwärmerische Süße und verführerischer Duft fehlen. Spitzentöne schreit sie förmlich heraus, die Stimme klingt durchdringend, scharf und monochrom, das Vibrato manchmal unkontrolliert weit.

Mitgefühl verdient Norinas Verehrer Ernesto, auf dessen Rücken das Verwirrspiel stattfindet. Doch dazu ist die Rolle zu schwach besetzt. Der Tenor Levy Segkapane singt die vielen Koloraturen wie aufgezogen, seiner Stimme fehlen Körper, Wärme, Wandelbarkeit. So ungelenk, wie er singt, spielt er auch. Und so einen soll die lebhafte Norina lieben?

Staatsoper: Don Pasquale mit Philharmonischem Staatsorchester

Mehr Temperament kommt vom Philharmonischen Staatsorchester. Der Dirigent Matteo Beltrami hat durchaus gestalterische Ideen, was die berühmte Italianità betrifft, mit ordentlich Umtata, Schleifen und Volten und flexibler Tempogestaltung. Nur bringt er die Koordination zwischen Bühne und Graben immer wieder durcheinander, sowohl zeitlich als auch dynamisch. Wenn eine Stimme wie die von Maestri vom Orchester übertönt wird, dann hat der Dirigent nicht genügend geführt und geformt.

Am Schluss ist der Tresor, der zu Beginn des dritten Akts bereits Schieflage hatte, fast vollständig untergegangen. Und die Moral von der Geschicht‘? Donizetti ging es um die Hybris des Alten, eine junge Frau heiraten zu wollen. Mit Bösch und den Umständen ließe sich das mit der Hybris noch erweitern. Geld kann nicht alles kaufen. Es schadet nicht, gelegentlich daran zu erinnern.