Hamburg. Bei Mozart hat das kleinste Detail etwas zu erzählen, unter Daniele Gatti kommt das nicht rüber. Doch dann folgt Schostakowitsch.
Ein Programm mit einer Salzburger Sinfonie von Mozart und der Fünften Schostakowitsch, das zahlt nicht unbedingt auf das Motto „Natur“ des diesjährigen Musikfests ein. Ursprünglich sollten die Münchner Philharmoniker unter Leitung ihres Chefdirigenten Valery Gergiev in der Elbphilharmonie Schostakowitschs Siebte spielen. Inzwischen wurde Gergiev wegen seines Schweigens zum russischen Angriff auf die Ukraine geschasst, für ihn ist Daniele Gatti eingesprungen.
Elbphilharmonie: Münchner Philharmoniker mit blassem Auftakt
So weit, so politisch. Die Sache ist nur die: Der Mozart klingt an diesem Abend ein ganz bisschen nach Tournee. Gatti dirigiert das Stück von den Strukturen her, von der Harmonik. Er weiß genau, was er will, und bekommt das auch von den Musikern: eine haarfein differenzierte Dynamik und ein genaues Zusammenspiel. Mozart gut durchhörbar, das ist schon mal was. Aber mit Verlaub, dies sind die Münchner! Für ein Orchester mit einer derart ehrfurchtgebietenden Vita geht – auf zugegeben schwindelerregend hohem Niveau – erstaunlich vieles an Kleinigkeiten schief, von Hornkieksern über klappernde Auftakte bis zu Intonationstrübungen in den ersten Geigen.
- Ein Elbphilharmonie-Konzert wie ein Playlist-Puzzle
- Orchester entführt nach Andalusien – mit virtuosen Passagen
- Klingende Naturbilder und eine überragende Pianistin
Über all das würde man ohne Weiteres hinweghören, wäre die Interpretation nicht so statisch. Mozarts Instrumentalmusik steckt voller szenischer, um nicht zu sagen opernhafter Wendungen, noch das kleinste Detail hat etwas zu erzählen, und zwar etwas Bedeutsames. Das kommt unter Gattis Stabführung einfach nicht rüber, es fehlt an Beweglichkeit des Metrums, an Überraschungen, an Klangfarben. Zu hören ist ein nicht perfekt, aber sehr gut gespielter Mozart von der Stange.
Elbphilharmonie: Gatti entfesselt Schlachtengeschrei
Dass Gatti mit Schostakowitsch mehr anfangen kann, ist schon klar, als er den Streichern dem Einsatz zu ihrem gezackten Thema gibt. Hier spannt er die Linien auf und dehnt die Crescendi bis zum Bersten. Die Fünfte ist Bekenntnismusik mit doppeltem Boden.
Gatti dimmt mal die Streicher bis zur Unhörbarkeit herunter, damit die Flöte darüber eine hauchzarte Trauerkantilene spinnen kann, dann wieder entfesselt er ein wahres Schlachtengeschrei in Blech und Schlagwerk. Dieses Orchester hat nicht nur fantastische Solisten, es hat ein kollektives Temperament, das sich dem Publikum unmittelbar mitteilt. Die Faszination ist spürbar, der Jubel am Schluss groß – und der blasse Mozart längst vergeben und vergessen.