Hamburg. Eva Reiter und das fünfköpfige Ictus Ensemble beim Internationalen Musikfest – musikalische Eindrücke übereinandergeschichtet.

Angenommen, wir hätten eine Playlist im Kopf, auf der Hunderte von musikalischen Eindrücken gespeichert sind. Und dann kommt jemand und spielt damit rum. Zerschnipselt und verfremdet diese Momente, puzzelt sie neu zusammen und schichtet sie übereinander. So ungefähr fühlt sich die Begegnung mit Eva Reiters Stück „The Lichtenberg Figures“ beim Internationalen Musikfest an.

Im nur spärlich gefüllten Kleinen Saal der Elbphilharmonie generieren Reiter und das fünfköpfige Ictus Ensemble mit Klangregisseur Alexandre Fostier eine kaum überschaubare Fülle an Sounds, musikalischen Gesten und elektronischen Effekten. Vieles zuckt nur sekundenkurz auf. Hier ein Wummern der Bassdrum, da eine bluesige Gitarrenfloskel, zwischendrin das Raunen vom Cello. Und dazu raunt, hechelt, faucht und fiept Eva Reiter ihren Sprechgesang ins Mikro. Mal mit Originaltimbre, mal zum Bariton verfremdet, dann wieder in Quieklage. Ganz schön viel auf einmal, ganz schön krass.

Die kleinteilige Hektik weicht größeren Bögen

Der Zickzackkurs spiegelt die Inspirationsquellen des Stücks: Das physikalische Phänomen der Lichtenberg-Figuren, die bei Spannungsentladungen entstehen und fein verästelte Muster bilden. Und die Sonette des US-amerikanischen Schriftstellers Ben Lerner, dessen Texte – auch auf die Bühnenrückwand projiziert – kunstvoll zwischen verschiedenen Perspektiven und Assoziationsebenen hin und her switchen. Bilderreich, durchgeknallt, morbide.

Ab Mitte des einstündigen Stücks weicht die kleinteilige Hektik größeren Bögen. Eine Passage beschwört eine sphärische Stimmung, eine andere erinnert an Progressive Rock. Die Musik wird leichter zugänglich und offenbart fast nostalgische Züge. In einem dicht komponierten Werk, das anstrengend und poetisch, überfordernd, scheinchaotisch, und auf seine eigene, bizarre Art auch irgendwie schön ist.