Hamburg. Der Fixstern am Pianistenhimmel sorgte mit Beethoven, Brahms, Schumann und sechs Zugaben für Jubel in der Hamburger Laeiszhalle.

Man kennt sich. Selten ist eine solche Vertrautheit zwischen Künstler und Publikum zu spüren wie bei Grigory Sokolov, diesem Fixstern am Pianistenhimmel. Natürlich wird die Laeiszhalle auf Barbeleuchtung heruntergedimmt, so dass man gerade eben sehen kann, wie der Meister hereinkommt, das unvermeidliche Verbeugen hinter sich bringt und dann losspielt. Nur deswegen ist er ja schließlich da.

An diesem Abend beginnt er mit den sogenannten „Eroica-Variationen“ von Beethoven. Der Werktitel könnte in die Irre führen, denn das Thema war schon vor der „Eroica“-Sinfonie da, Beethoven hat es in seinem Schaffen mehrfach verwendet. Womöglich liebte er es gerade um seiner bizarren Gestalt willen? Da springt der Bass vom Grundton aufwärts, dann um eine Oktave nach unten und wieder zurück auf den Grundton. Melodie kann man das nicht nennen. Die Musik hüpft los, bekommt drei fortissimo-Schläge ins Gesicht und hält inne, bevor sie die Themenvorstellung in scheinbarer Harmlosigkeit zu Ende bringt.

Grigory Sokolov haucht Brahms am Flügel neue Intimität ein

Sokolov fächert den sperrigen Grundgedanken über die 15 Variationen hinweg zu einem Bilderbogen des Lebens auf. Er spricht, er zürnt, er spannt gedankliche Bögen von apollinischer Klarheit, entführt sein Publikum auf einen Jahrmarkt und wendet sich im nächsten Moment ganz nach innen.

So persönlich dieser Beethoven wirkt, die drei Intermezzi von Brahms op. 117 entwickeln unter Sokolovs Händen eine andere Intimität. Der Künstler spürt dem späten Brahms durch alle seelischen Nuancen hindurch nach. Zauberisch, wie er dem wiegenden Gesang des Andante moderato einen hauchzarten Bass unterlegt, wie einen Hinweis auf ein Schicksal in weiter Ferne. Wenn er im zweiten Intermezzo die Melodie kurz staut und sie dann gleichsam freilässt, zeigt sich sein freier, sehr persönlicher Umgang mit Zeitmaß und Metrum.

Noch extremer sind die emotionalen Ausschläge in Schumanns „Kreisleriana“. Sokolov erzählt gleichsam eine Ich-Geschichte des Komponisten mit allen Dramen und Verzweiflungsausbrüchen. Klangfarbenreichtum und dynamische Kontraste, Phrasierung und Artikulation, all diese Parameter dosiert er aufs Allerfeinste. So dicht Schumann seinen Klaviersatz webt, bei Sokolov wirkt das Gewebe stets durchhörbar und logisch.

Sechs Zugaben von Grigory Sokolov in der Laeiszhalle

Das Publikum ist dem Meister auf seiner Seelenreise gebannt gefolgt. Der Applaus steigert sich zu Jubel und Füßetrampeln. Alles gut eingeübt – ebenso wie die Lässigkeit, mit der Sokolov sechs Zugaben serviert (Chopin, Rachmaninow, Skrjabin, Bach).

Es könnte stundenlang so weitergehen, aber dann dreht jemand das Saallicht wieder an. Ende des Konzerts. Oder war es nur ein Traum?

Neues Album: Soeben ist das Album „Grigory Sokolov at Esterházy Palace“ mit Werken von Haydn und Schubert erschienen