Hamburg. Die 80er-Helden zeigen sich vor 5000 Fans in der Barclays Arena in Topform. Jim Kerr macht sich einen Spaß bei „Don’t You“.
„Es war eine harte Zeit“, schaut Simple-Minds-Sänger Jim Kerr am Donnerstag in der Barclays Arena in Hamburg auf die vergangenen zwei Jahre zurück und scherzt: „Aber wir hatten eine fantastische Zeit mit eurem Ticketgeld: Champagner, Austern, ein wenig Botox“. Aber nach vielen Monaten des Verschiebens der Tour ist jetzt Schluss mit dem Lotterleben für die Simple Minds. „Wir wissen eure Loyalität sehr zu schätzen“, bedankt sich Kerr aufrichtig für die immerhin 5000 Fans, die die Tickets die ganze Zeit lang aufbewahrt haben.
Und die seit 1977 aktive schottische Band geizt nicht mit dem entsprechenden Gegenwert. Schon beim Auftakt mit „Act Of Love“, „I Travel“ und „Celebrate“ biegt, windet und dehnt sich Kerr mit seinen 62 Jahren wie ein Schlangenmensch, balanciert mit dem Mikroständer und singt, was der mäßig gemischte Sound hergibt. Das Pathos und die großen Gesten, was den Arena-Pop der Band in den 80ern begleitete, und die ansehnliche Lichtshow haben eine beachtliche Dimension. Es gibt neben alten und neuen Songs wie „Glittering Prize“, „Promised You A Mircale“ und „Love Song“ viel zu sehen und zu entdecken.
Simple Minds in Hamburg: Schlagzeugerin treibt die Band an
Da sind erstmal Kerr und sein ebenfalls seit 1977 aufspielender Gitarrist Charlie Burchill. Letzterer wechselt fleißig zwischen seinen Gibson-, Gretsch- und Fender-Hölzern, gehört aber trotz großer Spielfreude zu den uneitlen Vertretern seiner Zunft. Noch unauffälliger, aber absolut song- und banddienlich agieren Gitarrist Gordy Goudie, Bassmann Ged Grimes und die 2020 zum Tourtross gestoßene Keyboarderin Berenice Scott.
Aber letztendlich sind alle auf der Bühne außer vielleicht Jim Kerr unauffällig im Vergleich mit Schlagzeugerin Cherisse Osei. Die 35 Jahre junge Engländerin, die ihre Karriere 2004 bei der Reißbrett-Band The Faders begann, treibt die Simple Minds seit 2017 mit der Wucht einer Sheila E. oder Cindy Blackman an. Ein volles Pfund. Immer wieder spielt sie im Stehen und feuert das Publikum an. „Das ist unsere Form von Girlpower“, zeigt sich auch Jim Kerr beeindruckt.
Simple Minds mit ungewöhnlichem Konzept in Hamburg
Zwischendurch kommt auch immer wieder Sarah Brown als zweite Stimme oder kurze Vertretung für Kerr auf die Bühne. Ein ungewöhnliches Konzept, ebenso wie die nach „Belfast Child“ angekündigte 20 Minuten lange Pause zur Halbzeit des insgesamt zweieinhalb Stunden langen Konzertabends.
Man könnte einen gehörigen Verlust von Spannung und Dynamik nach so einer Unterbrechung befürchten. Oder dass die Luft raus ist. Aber die Simple Minds sind einen weiten Weg gegangen, seit sie ihr erstes Konzert im Januar 1978 im Club Satellite City in Glasgow wie jetzt in Hamburg mit „Act Of Love“ begannen. Die Auswahl an Songs ist groß genug nach 18 Studioalben. Das 19., übrigens in Deutschland aufgenommen, ist auch schon seit bald zwei Jahren im Kasten und harrt seiner Veröffentlichung.
Nach der Pause legen die Simple Minds eine Schippe drauf
Kaum sind die Fans vom Bierstand an ihre angestammten Plätze zurückgekehrt (auch im unbestuhlten Innenraum kein Problem, es ist genug Luft in den Reihen), geht es mit dem Instrumental „Theme For Great Cities“ und entsprechend auf den Leinwänden eingespielten Fotos von New York, Berlin und anderen Metropolen weiter. Der Mischer hat die Regler ein gutes Stück hoch gerissen, die Instrumente sind deutlich besser herauszuhören und die Lieddramaturgie legt eine ordentliche Schippe drauf mit „Dolphins“, dem vom Publikum enthusiastisch mitgeklatschten „Waterfront“ und einem kurzen Schlagzeug-Solo von Cherisse Osei. Ehre, wem Ehre gebührt.
Es macht Spaß, zuzuschauen, wie die Simple Minds auch nach 45 Jahren und einem Dutzend verschlissener Bandmitglieder ihre Frische bewahren. Das aktuelle Album „Walk Between Worlds“ schaffte es 2018 nach zwei Jahrzehnten sogar mal wieder in die Top Ten der UK-Charts, auch wenn das im Streaming-Zeitalter nicht mehr so die Bedeutung hat wie in der Hochphase der Band zwischen 1982 und 1989, in der es weltweit Gold und Platin regnete.
Simple Minds: Beim größten Hit versagt die Technik
Die Simple Minds sind jedenfalls nicht vergessen. Natürlich warten entsprechend alle auf den zeitlosen größten Hit der Band aus dem Jahr 1985: „Don’t You (Forget About Me)“. Jim Kerr macht sich einen Spaß daraus, den „Lalala“-Mitsingteil vom Publikum auf Französisch, Italienisch, Japanisch und Deutsch zu fordern. Lustig.
Leider zeigt sich bei diesem Song aber, dass wohl zu viel in Champagner, Austern und Botox investiert wurde statt in vernünftige Kabel: zwei Mal fällt die PA-Anlage komplett aus, sekundenlang ist es still (bis auf Oseis Trommeldonner), und ein vernehmliches Knacken und Ticken aus den Lautsprechern begleitet den – um einen Song gekürzten – Endspurt bis zur zweiten und letzten Zugabe „Sanctify Yourself“. Aber irgendwie hat es auch seinen Charme, wie heißt es so schön: Das ist live. Die Simple Minds haben ja den entsprechenden Kracher dafür: „Alive And Kicking“.