Hamburg. Die Tschechische Philharmonie präsentiert sich im Großen Saal mit Stolz. Manche Klischees können eben auch ihre guten Seiten haben.

Pflicht statt Kür? Nie gut in der Kunst. Von Hamburger Orchestern erwartet man reflexartig Brahms, von Finnen Sibelius, von Dänen Nielsen, von Norwegern Grieg. Und von Tschechen Dvořák, oder eben: Smetana. Diese Festlegung auf Landestypisches, womöglich auch auf Nationales, wenn es in der jeweiligen Historie politisch drunter und drüber ging, ist auf den ersten Blick vielleicht nicht immer aufregend. Weil es schnell den Eindruck erwecken kann, es würden nur Klischees abgearbeitet und bestätigt werden.

So gesehen, war das erste der drei Elbphilharmonie-Konzerte mit der Tschechischen Philharmonie und ihrem Chefdirigenten Semyon Bychkov ein sehr affirmativer Auftakt, eine wert- und werk-konservative Pflichtstunde in Musikgeschichte. Vielschichtiger und faszinierender wird es bei den Folgeterminen, bis hin zur sensationellen „Glagolithischen Messe“ von Janáček an diesem Sonnabend. Aufschlussreich war Runde eins der Konzert-Residenz dennoch.

Elbphilharmonie: Semyon Bychkov hält sich zurück

An diesem ersten Abend hätte Bychkov sein Orchester mühelos auch unbegleitet auf die Bühne des Großen Saals schicken und sich selbst einen ruhigen Abend mit einem guten Buch machen können.

„Má Vlast“ („Mein Vaterland“), Smetanas Sechserpack aus Sinfonischen Dichtungen, diese sechs Episoden über Nationalgeschichte, -stolz und -mythen, über Burgen, Flüsse, Helden, und Nymphen – all das ist derart tief und sicher in der Klang-DNA des Prager Orchesters verwurzelt, das ließe sich allein spielen, ohne Führungskraft mit Taktstock, vorwärts, rückwärts, seitwärts. Allen im Saal war das klar, erst recht natürlich Bychkov. Schön, dass es allen auf der Bühne trotzdem herzlichst egal war.

Bychkov und das perfekte Plätschern der "Moldau"

Das Orchester präsentierte sich dort als stolzes, prächtig gewichtiges Traditionsbewahrungs-Kollektiv, und Bychkov war sein Weichensteller, der nie stärker eingriff, als es nötig war. Viel zu tun in diesem Sinne hatte er also nicht. Der Klang hatte eher nichts Schnittiges oder Schlankes, es sollte offenbar auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, man würde das Rad des 19. für das 21. Jahrhundert neu erfinden wollen.

Schon für die Harfen-Akkorde im Beginn von „Vyšehrad“ hätte man Einladungen auf Büttenpapier wie zu einem Staatsbankett drucken können. Das perfekte Plätschern der „Moldau“-Wellen, mit dem die Holzbläser einsetzen und dann an die Streicher abgaben, hatte etwas Fotorealistisches.

Die Prager Philharmoniker genossen mit sonorer Inbrunst die Fabulierkunst dieser Musik, ihre musikdramatische Rhetorik, die ohne jede Zweideutigkeit abbildete, worum es ging. So wurde aus den sechs Kapiteln eine überlange, sechssätzige Sinfonie, die Nationalgeschichte in Noten rahmte. Und damit zeigte, dass das eine oder andere Klischee auch seine guten Seiten haben kann.

Weitere Konzerte: 11.3., 20 Uhr: Kabeláč „Mysterium der Zeit“, Rachmaninow 1. Klavierkonzert (Solistin: Yuja Wang), Dvořák 8. Sinfonie und 12.3., 20 Uhr: Martinu „Konzert für zwei Klaviere und Orchester“ (Solistinnen: Katia und Marielle Labeque), Janácek „Glagolithische Messe“. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Restkarten an der Kasse