Hamburg. Toshiki Okada gelingt in der Gaußstraße ein gelungener Auftakt der Lessingtage 2022. Warum das Stück auch an die Pandemie erinnert.

Moderne Hotels sind oft ein heimeliger Mikrokosmos, in dem alle Bedürfnisse stilvoll und schweigend erfüllt werden. Die Hotel-Lobby irgendwo an einer japanischen Küste, die im Zentrum von Toshiki Okadas Uraufführung „Doughnuts“ im Thalia in der Gaußstraße steht, ist so ein Ort. Gedeckte Farben, sanft schimmerndes Licht, gediegenes Mid-Century-Mobiliar (Bühne: Dominic Huber).

Nur die darin wartenden fünf adrett gewandeten Konferenzteilnehmer (Kostüme: Tutia Schaad) wirken wie bestellt und nicht abgeholt. Und so verhält es sich auch. Eine Konferenz soll in der Stadt steigen, doch kein Taxi ist verfügbar. Sagt zumindest der bemühte Rezeptionist, der erst sehr wenig und sehr kryptisch spricht und sich später immer ausschweifender äußern wird. Und weil erst einmal nichts geschieht, tauschen die Fachleute – ihre Expertise bleibt unbekannt – Argumente in Dauerrotation aus.

„Doughnuts“ im Thalia mit eigenwilliger Choreografie

Soweit die Versuchsanordnung in „Doughnuts“. Rund wie das Gebäck ist die sich meist sanft drehende Bühne aufgebaut. Doch Okada geht es vor allem um das unsichtbare klaffende Loch in der Mitte. Um die Leerstelle. Die Überforderung des Menschen im Angesicht des hypermodernen Lebens. Den Erkenntnisnebel. Um eine unbestimmte Angst vor einer Außenwelt, in der witterungsbedingt Autos ineinander fahren und Chaos herrscht. In der ein Bär irgendwo in einen Supermarkt eindringt und das Geschehen live und grell über ein Mobilgerät schimmert.

Es ist ein globales Gefühl. das Wirtschaftswissenschaftler in der Doughnut-Theorie beschrieben haben. Theatral fühlt man sich stark an Samuel Becketts „Warten auf Godot“ erinnert. Das Gesagte erscheint nebensächlich, wichtiger ist, wie es vorgetragen wird. In einer eigenwilligen Choreografie, die mal wie Ballett, mal wie Gebärdensprache anmutet.

Doughnut-Gefühl: Unbehagen macht sich breit

Manches erheitert, wenn etwa Johannes Hegemann als Hotelangestellter grazil um die Rezeption tänzelt und die Arme verrenkt. Oder André Szymanski die Beine in die Höhe wirft, sich auf einem Sessel querlegt und mit der Hand über dem Kopf ein unsichtbares Lasso schwingt. Maike Knirsch scheint mal zu fechten, mal Tai Chi-Übungen auszuführen. Und Björn Meyers Hand wischt über den Tisch in einer Geste, die in ihrer Einfachheit und Sanftheit doch tief berührt.

Alles scheint einer unsichtbaren, kunstvollen Partitur zu folgen und verbindet sich mit den Klängen zwischen Erik Satie-Zitaten und Jazz-Melodien (Musik: Kazuhisa Uchihashi) zu zarter Bühnen-Poesie. Das Doughnut-Gefühl beschleicht dabei auch den Zuschauer mehr und mehr. Je weiter die Worte sich im Kreise drehen, die Melodie auf und ab wogt, die Spielenden sich tapfer verrenken und tänzeln und dabei kultiviert aber auch sehr formelhaft debattieren und ein Unbehagen sich breit macht.

Lessingtage: Okada gelingt mit „Doughnuts“ gelungener Auftakt

Okada, ein gefeierter und vielfach preisdekorierter Autor und Regisseur, der neben den Arbeiten mit seinem eigenen Kollektiv Chelfitsch seit einigen Jahren am deutschen Stadttheater inszeniert, erweist sich in seiner ersten Arbeit am Thalia Theater als kluger, lebensphilosophischer Formexperte. Vom Inhalt bis zur Inszenierung ist der Abend konsequent durchchoreografiert und meisterhaft von einem hochkonzentrierten Ensemble präsentiert. Die Uraufführung ist zugleich ein gelungener Auftakt des internationalen Festivals „Um alles in der Welt – Lessingtage 2022“ unter dem Motto „Celebration of Life“.

Wenn es da heißt, dass man angesichts des Unvorhergesehenen doch mehr Gelassenheit entwickeln sollte, denkt der Besucher unweigerlich an die Pandemie. Auch so eine Leerstelle, die sich mit der Doughnut-Theorie beschreiben lässt. Man ahnt, dass man nicht viel mehr erfahren wird über diese typisierten Figuren. Und dass das Taxi in diesem Nebel, den die moderne Wirklichkeit darstellt, vielleicht nie kommt.

Toshiki Okada: „Doughnuts“ weitere Vorstellungen 3.2., 20 Uhr, 17.2., 20 Uhr, 3.3., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de