Hamburg. Tolles Stück, präzise inszeniert und fantastisch gespielt: Für diese Vorstellung lohnt sich der Besuch im Theater an der Mundsburg.

Es ist doch immer wieder verblüffend, wie lange Männer mit solch einem Verhalten durchgekommen sind (und das bisweilen immer noch tun). Wie vollkommen sicher sie sich ihrer Macht über Frauen sein müssen, ihrer eigenen Unantastbarkeit, um sich und ihre offensichtlichen Übergriffigkeiten so absolut gar nicht zu hinterfragen.

Ein paar besonders imposante Exemplare dieser Spezies sind derzeit am Ernst Deutsch Theater zu bestaunen, auf den Punkt inszeniert vom niederländischen Regisseur Antoine Uitdehaag, dicht geschrieben vom britischen Dramatiker Simon Stephens – Männer, die ihre Geschlechtsgenossen beim So-Sein präzise beobachtet haben müssen. Entlarvend gespielt von einem fantastischen Ensemble, in dessen Mittelpunkt allerdings die Frau steht, deren ungewöhnlichen Namen das Stück trägt: „Harper Regan“.

Ernst Deutsch Theater: In „Harper Regan“ steht eine Frau im Zentrum

41 Jahre alt, verheiratet, beherrscht, adrett, Mutter einer patenten Teenager-Tochter. Ein Durchschnittsleben, das sich so ergeben hat. Die Sorte Frau, die bei Udo Jürgens’ „Ich war noch niemals in New York“ vermutlich melancholisch mitsummen würde – und trotzdem in der Spur bleibt. In Uxbridge, irgendwo im Nirgendwo bei London. Bis Harpers Vater im Sterben liegt, ihr selbstgefälliger Chef ihr keinen Urlaub gewährt, sie trotzdem fährt – und zu spät kommt. Und plötzlich beginnt alles zu bröckeln.

„Harper Regan“ ist ein Dialogstück. Es wird viel geredet, in unterschiedlichsten Konstellationen und Verfasstheiten. Getrennt durch vergleichsweise schnelle Schnitte, die dennoch, auch dank der Drehbühne, organisch ineinander greifen. Während Schreibtisch, Sessel oder Kneipentheke ein- und wieder abfahren, bleibt bühnenmittig eine Leinwand stabil, zeigt Wasseroberflächen, Farbverläufe, eine Flughafenanzeigentafel (Bühne: Tom Schenk). Jede Szene ist eine psychologisch hochinteressante Miniatur für sich, erst nach und nach offenbart sich, in welch teils vertrackten Beziehungen die Figuren zueinander stehen.

Zwischen Sprachlosigkeit in der Ehe und Machtspielchen mit der Mutter

Elwood Barnes zum Beispiel, Chef der Firma, in der Harper Regan einen eintönigen Job macht. Aus Gründen, die man als Zuschauer erst später begreift, ist sie jedoch finanziell abhängig von dieser Arbeit – und er weiß das. Barnes, von Stephan Benson bis obenhin mit famos ungezügelter Selbstgerechtigkeit gefüllt, hört vor allem sich selbst gern reden – sie reagiert. Und schweigt. In feinen Nuancen. Weicht zurück, wo er Grenzen verletzt, behält die Contenance, wo Fassungslosigkeit angebracht wäre. Gelernte Muster, klug offengelegt und im Raum positioniert wie in einer Systemischen Therapie.

Vieles schwingt auch einfach mit, wobei „einfach“ eben das gerade nicht ist: Die Sprachlosigkeit in Harpers Ehe mit Seth (Christian Nickel), hinter dessen Fassade als unterstützend-liebenswerter Familienvater der verstörendste Abgrund lauert. Das emotionale Auf und Ab mit der ungestümen Tochter (unbedingt merken: Linda Stockfleth), die ungewohnte Vertrautheit im Gespräch mit einem fremden Jungen (Yann Hendrik Mbiene), die fast wohltuende Distanzlosigkeit der Krankenpflegerin (Nele Larsen), das krasse Angebaggere und die antisemitischen Ausfälle der koksenden Bar-Bekanntschaft (ein wandelnder Social-Media-Hasskommentar: Lennart Lemster), das Angezogen- und Abgestoßen-Sein von dem Fremden, dem sie zum Sex aufs Hotelzimmer folgt, die Machtspielchen mit der eigenen Mutter.

Die zeigt Intendantin Isabella Vértes-Schütter als schmale, einerseits verhärtete, andererseits tief verletzte Frau – mit grauer Kurzhaarperücke und flachen Tretern ist sie kaum wiederzuerkennen.

Anika Mauer ist das Kraftzentrum des Abends

Dass die Schauspielerinnen und Schauspieler mit Klischees spielen, die mal subtilere, mal brachialere Komik in all der Tragik herausarbeiten und dabei trotzdem (fast) nicht zur Karikatur überdrehen, ist wirklich große Bühnenkunst.

Das Kraftzentrum des Abends aber ist Anika Mauer in der Titelrolle, die sich all diesen Begegnungen mit einer Entschlossenheit aussetzt, als sei das Stück eigens für sie geschrieben. Sie spielt diese Frau, die für zwei Tage aus ihrem Leben ausbricht, mit enormer Wachheit und Durchlässigkeit und einem trotz aller Verzweiflung hinreißenden Funkeln.

Anhaltender Applaus für einen ausnahmslos glänzenden Theaterabend.

„Harper Regan“, bis 20. Februar am Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Karten unter T. 22 70 14 20 und www.ernst-deutsch-theater.de