Hamburg. Das Opernloft präsentierte den Opernklassiker in einer Version auf der Videoplattform TikTok. Da wird auch mal kräftig geflucht.
Eine etwas andere Opernpremiere: Auf dem Videoportal TikTok und mit einer Carmen die mal so ganz anders in Erscheinung trat, als sie das angestammte Opernpublikum so kennt. In kurzen Filmclips und in einer komplett abgewandelten Story voller Überraschungen. All das auch für ein Publikum, das diese Oper vielleicht noch nie auf einer Bühne gesehen und gehört hat. Oper funktioniert, davon sind die Macherinnen und Macher des Opernloft, Yvonne Bernbom und Inken Rahardt, zutiefst überzeugt.
Zu den Ohrwurm-Melodien von Georges Bizets Opernklassiker im Kontrast zu knalligen Popmusikeinblendungen eilt Carmen gleich in der ersten Folge durch moderne Büroflure, besprüht sich mit Parfüm und spricht: „Ich bin die größte Fernsehmoderatorin, die die Welt je gesehen hat. Es geht um Carmen und die Männer.“ Ein imaginäres Publikum applaudiert der von Alina Behning ziemlich eingebildet gespielten Hauptdarstellerin in blauem Kleid und wallenden roten Haaren. Wir begegnen Carmen als junger Frau von heute, selbstbewusst, aber auch blasiert. Sie erzählt eine Geschichte von Liebe, (Un-)Treue, moderner Medienwelt und einem Geltungsbewusstsein, das in unserer reizüberfluteten Welt ja immer schwerer befriedigt werden kann. Damit spricht sie besonders jungen Leuten aus der Seele.
Oper auf Tiktok: Bizets „Carmen“ mit Flüchen
Geliefert wird eine Oper in Appetithäppchen, in der gesprochen und gesungen wird. Täglich in Fortsetzungen neu abrufbar. Wenn das als Werbeforum für die Hochkultur funktioniert, ja warum nicht? Klischees, Plattitüden und Schimpfwörter wie „Scheiße, was ist hier los?“ sind da natürlich nicht ausgeschlossen. Dabei wirken die vom Klavier und einer kleinen Instrumentalcombo begleiteten originalen Opernschnipsel jedoch schon manchmal deplatziert. Außerdem sind die schauspielerischen Qualitäten von Behning und ihrem TikTok-Lover Jo (gespielt und gesungen von Richard Neugebauer) durchaus eingeschränkt. Vielleicht wäre es bei so etwas besser gewesen, die Spielszenen mit Schauspielprofis zu besetzen und die Gesangseinlagen zu unterlegen.
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Das Format hatten die Opernloft-Regisseurinnen Hannah Schlags und Jessica Maier schon einmal im Oktober mit einer anderen Oper getestet. In „Carmen by Carmen" spielt die originale Musik von Bizet nun nur eine Nebenrolle, wird eher als Randnotiz mitgeliefert. Auf die Frage, ob wir durch das Internet vielleicht verlernt haben, uns auf ein längeres Zuhören und -schauen zu konzentrieren, antwortet Regisseurin Jessica Maier: „Ich denke nicht, dass wir verlernt haben, ein Buch zu lesen oder eine Oper komplett zu hören. Aber unsere Welt ist schneller geworden und gerade jüngere Generationen sind es gewohnt - und in der Lage! -, Informationen und Unterhaltung schnell zu finden, aufzunehmen und zu verarbeiten.“
Ein solches Format würde mit einer Oper wie Verdis „Simon Boccanegra“ ebenso wenig wie mit einer Kurzfassung von Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ funktionieren, aber Bizets Oper lässt sich nun mal gut auf einen Kern reduzieren. Hannah Schlags formuliert den Plot in einem Satz: „Zwei Menschen trennen sich, weil sie unterschiedliche Erwartungen ans Leben und an ein Leben miteinander haben, es gibt Schuldzuweisungen und eine Eskalation, aus der es kein zurück mehr gibt.“