Hamburg. Sopranistin hatte Schwierigkeiten, sich zu behaupten. Dabei war der Abend mit dem Mahler Chamber Orchestra fein zurechtgelegt.

Unter den vielen Floskeln, mit denen man flott ein solides Drittelwissen im Bereich der klassischen Musik antäuschen kann, gehört der Spruch mit den „drei großen Bs“, die immer sein müssen: Bach – Brahms – Beethoven – fertig. Und wer partout als Nochbesserwisser auffallen möchte, liefert als viertes B Bruckner nach.

Für den fein zurechtgelegten Abend, mit dem das Mahler Chamber Orchestra seine Mini-Residenz in der Elbphilharmonie beendete, veränderte sich diese solide Zusammenstellung allerdings ins interessant Verwegene: Bach blieb gesetzt, doch von der Reservebank rückten drei andere Größen nach: Benjamin, George; Boulez, Pierre und Britten, Benjamin.

Die drei müssen nicht sein, sie sollten aber öfter die Chance erhalten, im Konzert-Alltag gehört zu werden. An sich schon eine raffinierte Konstellation, weil sie gar nicht versucht, dramaturgische Spitzfindigkeiten aufzubauen. Vier beachtliche Kompositionen, klein besetzt, aus vier Epochen, die für sich stehen.

Anna Prohaska in der Elbphilharmonie anfangs mit Mühe

Bei ihrem Gastauftritt in Debussys „Pelléas et Mélisande“ an der Staatsoper war Anna Prohaskas schlanker Sopran, der nicht raumfüllend ist, in einen deutlich größeren Orchesterklang eingebettet und kam damit zurecht. In diesem Konzertsaal jedoch hatte sie zunächst überraschend Mühe, sich auf ihrer Position an der Bühnenwand gegen das überschaubare Continuo durchzusetzen und auch noch verständlich darüber hinwegzusingen.

Und das Mahler Chamber Orchestra ist, trotz seiner Universalisten-Qualitäten, kein Ensemble, dem man automatisch weitreichende Barock-Tauglichkeit zuschreiben würde. Doch alle Beteiligten gaben sich rechtschaffen Mühe. Gemeinsamer Nenner war die Bewunderung für diese Musik, der Ernst, mit dem der erste Oboen-Einsatz in der weltlichen Kantate „Weichet nur, betrübte Schatten“ als herzblutender Weltschmerz-Seufzer gestaltet wurde.

Bühnenaufbau in der Elbphilharmonie war speziell

Der Bühnenaufbau danach war speziell: Hinten rechts, um die Celesta versammelt, passierte zunächst Benjamins „Fantasia 7“, eine traumleise, luftige Hommage des Zeitgenossen an das Barock-Genie Purcell, bei der die vier In­strumente mit hauchdünnen Anspielungen nur Verläufe skizzierten. Spot aus, Spot an: Hinten links folgte Boulez’ „Mémoriale“, für Solo-Flöte und acht Streicher.

Anna Prohaska – Durchdrehen auf kleinem Raum

Star-Sopranistin Anna Prohaska bei ihrem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie.
Star-Sopranistin Anna Prohaska bei ihrem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie. © Sebastian Madej

Deutlich abstrakter, eine Kreuzung aus Webern und Debussy, reine, kühle, klare Struktur. Eine intellektuelle Herausforderung, die infrage stellte, wie sehr Musik nur gefallen können soll. Brittens Lied-Zyklus „Les Illuminations“ will nicht gefallen, die Vertonung von expressiv-verrätselter Rimbaud-Lyrik soll überwältigen, das Streicher-Geschehen ist Mittel zu diesem Zweck. Prohaska genoss die Koloraturen, die Extreme, die Sinnlichkeit dieses Durchdrehens auf kleinem Raum.

Wissenswertes zur Elbphilharmonie:

  • Die Elbphilharmonie ist ein Konzerthaus, das als neues Wahrzeichen von Hamburg gilt
  • Sie wurde im Januar 2017 offiziell eröffnet
  • Das 110 Meter hohe Gebäude liegt in der HafenCity in Hamburg und soll mit seiner Form an Wellen, Segel und Eisberge erinnern
  • Wo heute die Elbphilharmonie steht, befand sich früher der Kaiserspeicher A
  • Das Konzept der Elbphilharmonie stammt von Projektentwickler Alexander Gérard und wurde bereits 2001 vorgestellt. Der Bau dauerte von 2007 bis Ende 2016
  • Die Baukosten betrugen 866 Millionen Euro

CD: „Redemption“ Teile aus Bach-Kantaten. Anna Prohaska, Lautten Compagney (Alpha, ca. 19 Euro). Konzert: 17./18.12., 20 Uhr: NDR Elbphilharmonie Orchester, Alan Gilbert: Mahler Sinfonie Nr. 4., Karten ab 15 Euro vorbestellbar.