Hamburg. Keine Mätzchen, bitte: Pianist Seong-Jin Cho erobert die Konzerthäuser der Welt. In Hamburg war nur am Ende Trauer.

Burkhard Glashoff hat mal wieder seine Handschrift gezeigt. In die Perlenkette der „Meisterpianisten“ hat der Spiritus rector von ProArte einen 25-Jährigen hineingefädelt, der keinesfalls als durchgesetzt gelten kann, aber jetzt schon die allerfeinsten Referenzen hat. Der Koreaner Seong-Jin Cho hat den renommierten Chopin-Wettbewerb in Warschau gewonnen und ist dabei, die Konzerthäuser der Welt zu erobern.

Die Bühne der Laeiszhalle in Hamburg betrat nun kein unbekümmerter Jungspund, sondern ein Mann von einem Ernst und einer Konzentration, die sich unmittelbar auf das Publikum übertrugen. Bevor er die ersten Töne von Mozarts d-Moll-Fantasie aus urzeitlichen Tiefen aufsteigen ließ, glitten seine Finger über die Tastatur und er schüttelte ein paar imaginäre Staubkörnchen in Richtung der Saiten, wie um sich mit dem Instrument erst einmal zu verbinden.

Seong-Jin Cho verzauberte Hamburgs Laeiszhalle

Vom ersten Takt an entfaltete Chos Spiel einen Sog, aus dem der Pianist seine Hörer den gesamten Abend über nicht entlassen sollte. Vordergründig mochte das daran liegen, wie genau er die Töne verband und dabei das physikalische Gesetz aufhob, dass ein auf dem Klavier einmal angeschlagener Ton unweigerlich verklingt. Dichte könnte man das nennen, aber es wirkte nie klebrig, schon gar nicht bei Mozart.

Seong-Jin Cho in der Laeiszhalle in Hamburg
Seong-Jin Cho in der Laeiszhalle in Hamburg © Sebastian Madej

Doch das eigentliche Geheimnis lag in der Art, wie die musikalische Spannung das Auditorium ergriff, Esoteriker würden vermutlich „feinstofflich“ dazu sagen. So geriet schon die kurze, zerrissene d-Moll-Fantasie zu einer Reise zum Kern der menschlichen Existenz.

Im Handumdrehen Opernszenen geschaffen

In der B-Dur-Sonate KV 281 von Mozart zeigte sich Cho spielerischer. Hell und eher direkt im Anschlag, nahm er sich winzige metrische Freiheiten für Einwürfe und schuf gleichsam im Handumdrehen Miniatur-Opernszenen, wie man sie in Mozarts Werk immer wieder findet.

Mit Schuberts „Wanderer“-Fantasie betrat er eine gänzlich andere, zutiefst romantische Klangwelt. Im Adagio-Teil ließ er das Pedal so lange liegen, dass die Akkorde ineinanderzulaufen begannen. Die Crescendi dehnte er bedrohlich aus. Für Schuberts Kantilenen wiederum, gefasst in das untröstlichste Dur der Welt, fand er milde Klangfarben. Es war, als schritte er mit einmal die Lebensthemen des Komponisten ab.

Endlostriller auf dem Klavier: Aber wie geht es weiter?

Die Klaviersonate h-Moll op. 1 von Alban Berg, ein Werk aus nichts als Essenz, wurde unter Chos Händen zur Klangrede. Mühelos fächerte er mit seinem klaren, mätzchenfreien Spiel die Gedanken auf, scheute aber auch vor dem romantischen Gestus Bergs nicht zurück. Und schloss übergangslos die große, horrend virtuose h-Moll-Sonate von Liszt an. Es spricht für Chos Klavierkunst, dass die Berg-Sonate von diesem Koloss nicht erdrückt wurde. Auch hier erhielt jede Passage ihren Sinn im Gesamtgefüge, noch bei jedem Endlostriller wollte man unbedingt wissen, wie es weiterging.

Standing ovations. Und was tat Cho? Zündete kein Zugaben-Feuerwerk, sondern versank in Chopins Trauermarsch und entließ die Menschen dann mit dem langsamen Satz aus der Sonate KV 332 von Mozart, musiziert in überirdischer Ruhe.

Es gibt eben auch junge Meister.

Instagram: Seong-Jin Ch im Video

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