New York. Die Opernlegende Jessye Norman ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Sie gehörte zu den berühmtesten Sopranistinnen der Welt.

Auch wenn es, wie all diese immer ungenügenden Beschreibungsversuche eines epochalen künstlerischen Phänomens, etwas cheesy klingt: Jessye Norman trat nicht bloß auf, wenn sie eine Bühne betrat – sie trat in Erscheinung. Majestätischen Roben, dann diese royale Frisur, der Blick, der signalisierte: Die Audienz beginnt… genau jetzt. Und dann: diese raumfüllende Stimme, dieser Stolz, diese Liebe zu jedem Ton.

Ihr Timbre war und ist so erkennbar wie der vernebelte Trompetenton des klassischen Miles Davis, wie das kehlige Nachdenken über Gott und die Welt des späten John Coltrane. Und auch Normans Diven-Selbstverständnis war beispiellos, gefürchtet, berüchtigt. Auf Kompromisse sollten andere sich einlassen, die waren weit unter ihrer Würde. Denn sie war „larger than life“.

Erster Vertrag an der Deutschen Oper Berlin

Der Karriereverlauf der Sopranistin Jessye Norman ist auch in dieser Hinsicht nicht von der Tatsache zu trennen, dass sie eine afroamerikanische Sopranistin war. Geboren 1945 in Augusta, Georgia; aufgewachsen in den schwarz-weiß denkenden US-Südstaaten, in jenen Jahrzehnten, in denen „eine wie sie“ noch alles andere als selbstverständlich war in den großen Opernhäusern, wo weiße Männer das Sagen hatten.

Und doch schaffte „eine wie sie“ schnell den internationalen Durchbruch. Dem ersten Vertrag, 1969 an der Deutschen Oper Berlin mit einer Elisabeth im „Tannhäuser“ debütierend, folgten Engagements an großen Häusern, aber erst spät an der New Yorker Met; sie konnte es sich aussuchen, wo man sie feiern durfte, und blieb gern wählerisch. Besonders in Paris vergötterte man sie dafür.

Dort sang sie, mehr als ein Ritterschlag, bei den 200-Jahr-Feierlichkeiten der Französischen Revolution die „Marseillaise“, gehüllt in die Nationalfarben Weiß, Blau, Rot, die ja auch die der USA sind. Was für ein Triumph für das Mädchen aus Georgia.

Norman beherrschte samtige Höhen und abgründige Tiefen

Norman zelebrierte und genoss Wagner-Partien mit durchschlagender Wucht, sie zauberte in Liedern von Schubert, Schumann, Strauss mit wenigen Phrasen Welten herbei. Jede Silbe, jeder Vokal, jeder Konsonant stand bei ihr klar im Raum. Carmen, Aida, Barockes, Verdi, Weber, Berlioz, Poulenc.... Alles ging, wenn sie es sang. Ihr Sopran, der sowohl eine samtig bleibende Höhe als auch eine abgründige Tiefe beherrschte, überstrahlte leicht die Riesenorchester von Mahler-Sinfonien und von Schönbergs „Gurreliedern“.

Wenn es nur eine Aufnahme sein dürfte, mit der sich in den Herzen ihres Publikums verewigte, es wären wohl die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, 1983 mit Kurt Masur und dem Leipziger Gewandhaus eingespielt. Wer bei diesem Dokument, bei dem jeder Ton in Herzblut getränkt ist, ist, nicht feuchte Augen bekommt, muss taub sein.

In Hamburg trat Norman zuletzt in der Laeiszhalle auf

In Hamburg hat man La Norman vor einem Jahrzehnt zuletzt live erleben dürfen, in der Laeiszhalle, mit einem Programm, das nicht klassisch bestückt, sondern dem „Great American Songbook“ gewidmet war, Spirituals und Duke Ellington. Auch dieses Repertoire machte Norman zu ihrer Musik und wurde auch dafür, obwohl sie schon im Herbst ihres stimmlichen Könnens war, gefeiert und bewundert. Sie wurde zu einer Erinnerung an frühere Größe, von diesem Ruhm zehrte sie, daran hielt sie sich fest.

Offizielle Ehrungen gab es so reichlich wie verdient: In Frankreich wurde eine Orchidee nach ihr benannt. An ihren sofort Legende gewordenen Auftritt in Robert Wilsons Inszenierung von Schönbergs „Erwartung“ bei den Salzburger Festspielen 1995 erinnert eine Marmorbank in einem Foyer. In New York hatte man Jessye Norman 2007 zum „living landmark“ ernannt. Dort ist sie nun, mit 74 Jahren, an den Spätfolgen einer Rückenmarksverletzung gestorben.

Bei einer Interview-Audienz, 2008 in London, hatte sie auf die Frage, ob sie lieber als Sängerin oder als Baum wiedergeboren werden möchte, geantwortet: „Lieber als Baum“. Und danach hatte Norman schallend gelacht, auf ihre übergroße und unvergessliche Weise.