Hamburg. Der Ex-Chef des NDR Elbphilharmonie Orchesters dirigierte ein kraftvolles Programm. Nur der Anfang war hektisch.
Er ist wieder da. Gut ein Jahr nachdem sich Thomas Hengelbrock nach seinem letzten Konzert als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters winkend vom Hamburger Publikum verabschiedete, ist er gleichsam in anderem Gewande in der Laeiszhalle wieder aufgetaucht: nämlich am Pult seiner Originalklanggruppen Balthasar-Neumann-Chor und –Ensemble, mit denen er diese Saison insgesamt sechsmal in die Hansestadt kommt.
Ein Fest haben sie gefeiert beim Saisonauftakt der Reihe "Das Alte Werk", anders kann man es nicht sagen. Dem Eröffnungschor von Händels jugendlichem Geniestreich, „Dixit Dominus“, entstanden auf seiner frühen Bildungsreise durch Italien, haftete noch etwas von einer Leistungsschau an: So virtuos sich Chor und Instrumentalisten bei halsbrecherischen Koloraturen und Läufen profilieren konnten, so hektisch wirkte das Tempo in den Solopassagen.
Die Beweglichkeit der Stimmen war phänomenal
Aber im Lauf der folgenden Sätze mit ihren dramatisch wechselnden Stimmungen – Händel zeigt sich hier schon mit Anfang zwanzig als Theatertier – fokussierten sich die Beteiligten zusehends.
Der Chor war mal wieder ein Wunder an Plastizität und Durchhörbarkeit des Klangbilds. Jedes Wort verstand man bei den Balthasar Neumännern und -frauen, die Beweglichkeit der Stimmen war phänomenal. Und wo Händel es zwischendurch operntauglich krachen ließ, verblüffte die zahlenmäßig kleine Gruppe mit geballter vokaler Kraft. Ausdrucksjunkies sind sie, und das Orchester nicht minder.
Jähe dynamische Wechsel, sinnbewusste Artikulation und ein Reichtum an Klangfarben, wie man ihn eben nur auf Darmsaiten produzieren kann, zogen das Publikum spürbar in den Bann. Mal schlugen die Musiker vertikal auf die Akkorde ein, als wäre Händel ein direkter Vorläufer von Bartók, dann wieder umschmeichelten sie in zartesten Tupfern die beiden Sopranistinnen.
Der Countertenor war kurzfristig eingesprungen
Die gehörten, wie bei „Balthe“ üblich, zum Chor und traten nur für ihre Solonummern aus der Gruppe heraus. Auch den Solopart in der Bach-Kantate „Gott soll allein mein Herze haben“ übernahm ein Kollege: Der Countertenor Reginald Mobley war kurzfristig eingesprungen für Alex Potter, der seinerseits anstelle von Valer Sabadus hätte auftreten sollen. Die sperrige Solopartie der Kantate sang Mobley mit leichter, drucklos geführter, in den Lagen nicht restlos homogen timbrierter Stimme und erntete anhaltenden Jubel.
Irgendwie konnte dieses Programm nicht schließen ohne die Motette „Jesu meine Freude“, die Hengelbrock und die Seinen sonst gerne zugeben. Den ersten Choral sangen fünf Solisten und rückten dem Hörer die Musik schockartig nahe. Es war, als nähmen die Künstler die Anwesenden bei der Hand, um sie durch ein kostbar filigranes Kirchengebäude zu führen.
Schade, dass jemand vorwitzig in die Kuppel aus Stille und Ergriffenheit hineinklatschte, die sich über dem entrückten Ende wölbte. Sie gaben einen fröhlichen Chor aus Händels Oratorium „Solomon“ zu – und, wie eine Mahnung, Bachs berühmten Choral „Jesus bleibet meine Freude".