Hamburg. Altonaer Theater verwebt mit “Herzlich willkommen“ zwei Romane von Walter Kempowski. Publikum applaudiert frenetisch.

Geschafft! Strahlend kommen die Schauspieler aus der Garderobe des Altonaer Theaters zur Premierenfeier ins Café Oelsner. Einen weiten Weg mit Dutzenden von Proben und vielen Aufführungen sind sie gemeinsam und mit Bravour zu Ende gegangen. Mit der offiziellen Premiere (nach einer Voraufführung Ende der vergangenen Saison) von „Herzlich willkommen“ ist die „Kempowski-Saga“ jetzt komplett.

Länger als ein Jahr haben elf Schauspieler an der dramatischen Umsetzung von Walter Kempowskis „Deutschen Chronik“ gearbeitet. Vier Teile hat Intendant und Regisseur Axel Schneider aus dem neunbändigen Romanzyklus gebaut und auf die Bühne gebracht. Walter Kempowski (1929-2007) erzählt darin seine Familiengeschichte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die späten 50er-Jahre.

Der düsterste Teil des Zyklusses

Der vierte Teil der Saga verschränkt die Romane „Ein Kapitel für sich“ und „Herzlich willkommen“ und ist der düsterste Teil des Zyklusses. Beleuchtet wird dabei die Gefängniszeit der Brüder Walter (Johan Richter) und Robert Kempowski (Philip Spreen) in Bautzen und ihrer Mutter Grethe (Anne Schieber) in verschiedenen Frauengefängnissen in der DDR.

Parallel wird als zweiter Handlungsstrang die Zeit nach der Entlassung der drei Figuren beschrieben. Breiten Raum nimmt darin die Beziehung zwischen Walter und seiner Mutter ein. Grethe Kempowski, geborene Bonsac, sitzt meistens an einem Tisch und schurigelt ihren Sohn mit immer neuen Aufforderungen, sich um seine Zukunft zu kümmern.

Eine entwürdigende Zeit im Gefängnis

Anne Schieber spielt Grethe als Frau, die ihre Familie mit viel Pragmatismus zusammenhalten will, der es jedoch an Empathie fehlt. Nie kommt sie auf die für sie entwürdigende Zeit im Gefängnis zu sprechen, nie spricht sie mit ihrem Sohn über dessen brutale Erfahrungen. Schieber schafft den schwierigen Switch zwischen den schnell hin- und her springenden Szenen zwischen der gedemütigten Gefangenen – die nicht mal genau weiß, warum sie zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist – und der Mutter, die das Beste für ihren Sohn will, doch dieses nicht zeigen kann. Sie habe ein „verkorkstes Leben“ sagt Walter über sie.

Johan Richter war in den vorangegangenen Teilen meistens der Erzähler, in „Herzlich willkommen“ ist er die spielende Hauptfigur, die Erzählungen übernehmen andere Mitglieder aus dem Ensemble. In Bautzen wird ihm übel mitgespielt. Eine Vergewaltigungsszene verlegt Regisseur Schneider in den hinteren Teil der Bühne, während vorn an der Rampe ein Männerchor Volkslieder singt. Von großer Brutalität ist auch eine Prügelszene, in der die Gefangenen Spießrutenlaufen und vom Wachpersonal brutal geschlagen und getreten werden.

Auch Richter spielt seine Rolle wieder mit großer Präzision. Wenn er nach der Haftentlassung bei seiner Mutter abhängt oder sich zu Behördengängen und Verwandtenbesuchen zwingen muss, zeigt er seine Traumatisierung durch die achtjährige Einkerkerung. Sein Bruder Robert, von Philip Spreen mit starker Präsenz gespielt, arrangiert sich besser mit den Umständen. Er macht Pläne für ein Leben nach dem Knast, sein Optimismus, den er auf den Bruder zu übertragen versucht, hilft ihm beim Überleben in diesem menschenverachtenden System.

Schauspieler wechseln blitzschnell die Rollen

Dass Schneiders Versuch aufgeht, Kempowskis epische Chronik auf die Bühne zu bringen, verdankt er nicht nur den drei erwähnten Protagonisten, sondern dem erstklassigen Ensemble, in dem jeder blitzschnell von Rolle zu Rolle wechseln muss. Tobias Dürr zum Beispiel wird zu einer anderen Figur, in dem er sich nur eine Augenklappe abnimmt. Nadja Wünsche, Detlef Heydorn und Ute Geske sind drei weitere Verwandlungskünstler, die von Beginn an Teil des Kempowski-Projekts gewesen sind; Hans Schernthaner und Isabell Fischer spielen nur in „Herzlich Willkommen“, Dirk Hoener und Kathrin Gerken sind bei den drei anderen Teilen dabei, die ebenfalls noch in Altona gezeigt werden.

In allen vier Teilen der Kempowski-Saga wird das Bühnenbild von Ulrike Engelbrecht von einer Kleiderstange im hinteren Teil begrenzt. Dahinter können die Schauspieler verschwinden oder sich ein neues Requisit bei einem Rollenwechsel nehmen. Bei „Herzlich willkommen“ ist diese Kleiderstange hochgezogen und gibt den Blick frei auf eine steinerne Ziegelwand. Sie symbolisiert die unüberwindliche Gefängnismauer, die Grethe, Walter und Robert die Freiheit nimmt. Erst als auch Robert Ende 1957 aus Bautzen freikommt, werden die Jacken und Hemden wieder heruntergelassen. Am Ende feiern die Kempowskis und die Bonsacs in Hamburg ein großes Wiedersehensfest. Auch das Premieren-Publikum im Altonaer Theater hat Grund zum Feiern und applaudiert den Schauspielern frenetisch.

Herzlich willkommen, nächste Vorstellungen ab 25.9., Altonaer Theater (S Altona), Museumstraße 17, Karten ab 20,- unter T. 39905870; www.altonaer-theater.de