Hamburg. Nicht bloß ein Konzert, sondern die ganze Saison steht in der Elbphilharmonie unter dem Motto “Geist“. Sie beginnt anspruchsvoll.

Seit das Ensemble Resonanz im Kleinen Saal der Elbphilharmonie residiert, stellt es nicht nur einzelne Konzertprogramme unter Motti, sondern auch noch die Spielzeiten als Ganzes. „Geist“ ist die jetzige Saison überschrieben, und in was für unterschiedliche Richtungen von Hui Buh dem Schlossgespenst bis zur Heiligen Dreifaltigkeit der Topos gedeutet werden kann, davon vermittelte der Geschäftsführer Tobias Rempe bei seiner kurzen Eröffnungsrede eine Ahnung.

Soweit, so klar. Doch warum das erste Resonanzen-Konzert ausgerechnet „Auge“ betitelt war, erschloss sich weder aus dem Programm noch aus dem Programmheft.

Berlioz, der Bilderzauberer und der Heilige Geist

Dabei hätte es vollkommen gereicht, die Musik für sich sprechen zu lassen, beginnend mit „Veni Creator Spiritus“, dem lateinischen Messgesang aus der Feder des romantischen Bilderzauberers Hector Berlioz.

Ganz intim gesetzt nur für Geigen und Bratschen, schweißten die Musiker ihr Publikum mit der Innigkeit und sanglichen Einfalt, die Bratschen leichtfüßig als Bässe fungierend, gleich in den allerersten Takten zu einer hörenden Gemeinde zusammen – und das trug über die folgende halbe Stunde hinweg.

Lachenmanns "Reigen seliger Geister": Kein Streichquartett wie jedes andere

Zum Glück. Helmut Lachenmanns zweites Streichquartett „Reigen seliger Geister“ aus dem Jahre 1989 forderte nicht nur die drei Resonanzler und die Geigerin Frédérique Gulikers, die kurzfristig für den verletzten Gregor Dierck eingesprungen war, sondern auch das Publikum.

Wie es seine Art ist, erteilt Lachenmann auch in seinem zweiten Streichquartett allen Hörerwartungen eine Absage. Statt im Konzertsaal wähnte man sich auf einem Waldspaziergang. Streichen auf dem Wirbelkasten, Knarzen und Klopfen produzierten eine allem Menschlichen entrückte, kreatürliche Klanglichkeit. Trotz vieler Pausen und Wiederholungen hielten die Interpreten die Spannung.

Ein zweites "Veni Creator Spiritus" – diesmal aus der Renaissance

Allein dafür, wie stilgerecht und klangsensibel die Musiker nach der Pause oben auf der Empore das pure und dabei rhythmisch so vertrackte „Veni Creator Spiritus“ des Renaissancekomponisten Palestrinas auf modernem Instrumentarium zum Atmen brachten, gebührt ihnen alle Bewunderung.

Hübsch die Idee, mit Rebecca Saunders’ „hauch“ für Violine solo unten auf der Bühne nahtlos anzuschließen, allerdings fiel das Stück gegen Lachenmanns Quartett in der Intensität ab, allzu gleich klangen all die Liegetöne und Glissandi und Starkstromvibrati.

Felix Mendelssohns Streichquintett B-Dur, bearbeitet für Streichorchester, machte diese kleine Delle vergessen. Mit halsbrecherischer Virtuosität, hochdramatischen Kontrasten und Kompromisslosigkeit des Ausdrucks bewies das Tutti mal wieder, wofür die Leute das Ensemble lieben. Großer Jubel.