Hamburg. John Neumeiers Shakespeare-Abend begeistert bei der Saisoneröffnung des Hamburg Balletts in der Staatsoper.
Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Als romantisch erweist sie sich bisweilen, manchmal als unfreiwillig komisch, oft als tragisch. Am Schluss, wenn das von Alina Cojocaru und Christopher Evans getanzte, zuvor entzweite Elfenpaar Titania und Oberon eng umschlungen im Glitzerkostüm in sein Happy End wirbelt, dann, ja dann hat die Liebe allerdings wieder einmal aufs Schönste gesiegt. Zumindest in John Neumeiers prachtvoller Choreografie von „Ein Sommernachtstraum“.
Der getanzte Shakespeare-Abend ist längst ein Klassiker. Seit der Uraufführung 1977 gab es allein in Hamburg mehrere Wiederaufnahmen mit an die 300 Vorstellungen. Zur Saisoneröffnung setzt das Hamburg Ballett nun erneut auf diesen Hochkaräter, der zu den erfolgreichsten Abenden Neumeiers zählt – der Clou daran ist eine grandiose Riege junger Tänzerinnen und Tänzer.
Die Choreografie hat sich erstaunlich gut gehalten. Sicher, der Prolog mit dem „Vorabend der Hochzeit“ am Fürstenhof kommt szenisch ein wenig bieder daher mit der Ottomane, dem hölzernen Spiegel und einer Schar historisch gewandeter „Näherinnen“ (Bühne und Kostüme: Jürgen Rose ).
Hier begegnen wir den Liebenden, von denen noch die Rede sein wird, vor allem aber dem Paar Hippolyta und Theseus (Alina Cojocaru und Christopher Evans). Der Herzog von Athen umwirbt die Amazonenkönigin in leidenschaftlichen Hebe- und Drehbewegungen, flankiert vom Corps de ballet.
Nebel wabert über die blaugrün erleuchtete Bühne
Als die Nacht sich senkt verwandelt sich die nunmehr allein ruhende Hippolyta in ihre träumende Wiedergängerin, die Elfenkönigin Titania und die ist mit ihrem König Oberon zum Leidwesen der Waldgeister zerstritten. Nebel wabert über die blaugrün erleuchtete Bühne. Zwischen Olivenbäumen dehnen Feen in hautengen Ganzkörperkostümen ihre biegsamen Körper.
Ende der 1970er-Jahre waren die Bewegungen ihrer Zeit voraus, ohne gleich einen Skandal abzugeben. Ihre Faszination ist bis heute ungebrochen. Wie nackte Körper wirken die Tänzerinnen und Tänzer, dann wieder wie Wesen aus einer Zukunftswelt. Eine überaus verführerische, schwüle, sexuell aufgeladene Szenerie, in der die Magie der Nacht sich entfaltet.
Mittendrin: das koboldhafte Wesen, der durchtriebene Puck. Alexandr Trusch begeistert in der Rolle des Luftgeistes, der regelmäßig mit gestrecktem Bein diagonal über den Boden grätscht, schelmisch grinsend verwegene Pirouetten hinlegt und überhaupt mit mancherlei Akrobatik glänzt. Im Dienste des Elfenkönigs Oberon treibt er sein neckisches Verwirrspiel der Sinne mit den ahnungslosen jungen Liebenden, die sich in den glitzernden Elfenwald verirren.
Im Schlaf werden dank des vernebelnden Saftes einer Zauberblume schon bald Hermia, mädchenhaft zart getanzt von Madoka Sugai, und der Gärtner Lysander, grazil und voller Hingabe: Matias Oberlin, getrennt. Eigentlich wollten sie sich heimlich im Wald treffen, weil der Hof ihnen die Eheschließung verweigert. Die bei Leslie Heylmann mit Brille und komödiantischem Talent gesegnete Helena wiederum läuft dem zackig salutierenden Offizier Demetrius (Alexandre Riabko) hinterher, der von ihr nur leider nichts wissen will.
Selten war verschmähte Liebe so amüsant. Heylmann hängt sich an Riabko, erklimmt seinen Körper, er aber lässt sie achtlos hinabgleiten, während er ungebrochen weitermarschiert. Dank des Kupplers Puck sieht sich auf einmal Helena von Lysander und Demetrius begehrt – vorübergehend natürlich.
John Neumeier schöpft aus dem Vollen
Die Orgelmusik von György Ligeti pulsiert, drängt und wabert und verstärkt den Eindruck einer Science-Fiction-Fantasie. An keiner Stelle driftet die Triebhaftigkeit des Geschehens ins Obszöne. Auch schöne, große tänzerische Tableaux begeistern, etwa wenn die Körper ein Bett formen und Titania, bei Alina Cojocaru von betörender Eleganz und Anmut, auf Händen tragen. Auch die Elfenkönigin bekommt die Intrigen von Oberon und Puck noch zu spüren. Es dauert, bis am Ende endlich alle wieder mit den richtigen Partnern vereint sind.
Mit dem „Hochzeitsfest“ zur Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy wird es wieder höfisch, prunkvoll, traditionell. Alles ist ein würdevolles Schreiten, Lächeln und Verbeugen. Auch Strippenzieher Puck ist dabei – in Gestalt des Hofmeisters Philostrat.
Zum Glück durchbrechen die Handwerker mit ihrer Aufführung der Liebeskomödie „Pyramus und Thisbe“ die Konvention mit Volkstanz und Slapstick zur Drehorgel-Musik. Marc Jubetes Zettel gibt einen hinreißend gockeligen Liebhaber Pyramus ab, während Borja Bermudez’ Flaut als Thisbe gekonnt in roten Spitzenschuhen über die Bühne torkelt.
John Neumeier schöpft mit dem großen Menschenkenner Shakespeare aus dem Vollen in diesem lebensklugen, tänzerischen Liebesabenteuer, das der Kompanie viel Raum für Charakterentwicklung lässt.
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