Hamburg. Die US-Musikerin hat ihre „Witness!“-Show eigens für zwei Konzerte im Großen Saal entworfen. Das kam nicht bei allen an.
Barsch trötende Tusch-Akkorde der Blechbläser, leider nicht mit allen Beteiligten in einer gemeinsamen Tonart, dazu scheppernde Beckenschläge. Zwei Dutzend afroamerikanische Musikerinnen und Musiker, alle in zuckerstangenrosa Overalls, und einige Hofdamen-Tänzerinnen kündigten damit an, dass man sich gefälligst zusammenreißen und fokussieren soll. Dass gleich die Königin leibhaftig erscheinen und die Audienz bei Ihrer Großartigkeit beginnen würde. Nur Niederkniensollen fehlte noch.
Minutenlang standen sie alle dann so da, eingefroren auf der Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie, und: Nichts passierte. Außer leicht irritiertem Kichern und Pfeifen in manchen Rängen. Doch als die immerhin drei Sousaphonisten ihre Instrumente wieder absetzten, wurde klar: Die Königin, Solange Knowles die Eigenwillige, überstrahlt das Rampenlicht eindeutig erst, wenn sie es will.
Solange Knowles mit Konzept-Konzert in der Elbphilharmonie
Bis zu diesem Zeitpunkt war schon fast eine Stunde Wartezeit vergangen, sehr viel Zeit, in der man kurzbehostem Fachpersonal mit strammen Waden beim stoischen Kabelverlegen zusehen durfte. Andere vertrieben sich die Zeit mit Selbstporträts. Ein ziemlich ernüchternder Anblick, entertainmentästhetisch betrachtet, da diese Show ja mit reichlich Anlauf als fesselnde Welt-Sensation angekündigt worden war, bei der jedes Detail vom Allerspeziellsten wäre. Bei Karl Lagerfeld selig jedenfalls hätte es so etwas Entzauberndes wie einen sichtbaren Bühnenaufbau mit Generalproben-Aroma in dieser glamourösen Kulisse nicht gegeben.
Solange, die jüngere und entschieden weniger massenkompatible Schwester von Beyoncé Knowles, maßschneidert ihre Konzept-Konzerte, weltweit, immer wieder neu, nur für sehr spezielle Orte. Über die sozialen Medien hatte die Grammy-Preisträgerin für ihre zwei Hamburger „Witness!“-Abende, die einzigen in Deutschland, den Dresscode Schwarz ausgegeben, viele Fans hatten brav gehorcht. Es gab aber auch Zufallspublikum weit abseits der Zielgruppen in bunterer Abendgarderobe, das mächtig mit dem Gebotenen fremdelte und sehr schnell wieder ging.
Zweiter Anlauf in die Show nach einer Stunde
Nach genau einer Stunde folgte, wieder mit Pauken und Trompeten und immer noch nach einem Tonart-Konsens suchend, der zweite Anlauf in die Show. Und die wurde stellenweise speziell, selbstbewusst, charismatisch, sinnlich und stark. Eine absolutistische Majestätsbesichtigung, bei der Männer, so schien es manchmal, als Vertreter des schwächenden Geschlechts höchstens geduldet wurden.
Denn die Musik und die Performance von Solange sind nur oberflächlich Spiel-Material für die Liveauftritte; vor allem sollen diese Shows straff durchinszenierte Rollenbild-Seminare sein, bei denen man hin und wieder auch tanzen und die Arme euphorisch in die Luft werfen kann. Im Fanblock K funktionierte das prächtig, die Stimmung ging dort flott durch die Saaldecke, bevor es wieder und weiter ums weibliche Sein und ums kritische Bewusstsein geht. Gegen alltägliche Unterdrückung und Rassismus und erst recht gegen breitbeinige Gestalten wie die orangefarbene Katastrophe, die zum 45. US-Präsidenten gewählt wurde.
Sirenen-Reinkarnation der Supremes
Wie es sich für intellektuelle Herausforderungen gehört, wurde zunächst der Thesenrahmen abgesteckt. Die auf ihren Positionen geparkte Marching Band lieferte die harmonische Grundierung, der Schlagzeuger bestreute sie spärlich mit trockenen Einwürfen. Und Solange Knowles selbst hatte zwei Girl-Group-Kolleginnen neben sich; die drei Grazien, die auch im Synchronfrisurenschütteln brillierten, wirkten in den jazzig-verspult wabernden Passagen mancher Song-Experimente wie eine Sirenen-Reinkarnation der Supremes, die David Lynch in einen Topf mit Spezialsubstanzen geworfen hatte.
Solanges Bühnenshow rettete vor der Langeweile
Das alles war jedenfalls sehr weit entfernt vom glatt produzierten Instagram-R&B, der ohne Zwischenstopp von einem Ohr ins andere durchrutscht, keine flache, flaue Formatradio-Dutzendware, sondern anstrengender, uneindeutiger Avantgarde-Anspruch mit Hipster-Verschrobenheit umgeben und in Strukturen verkapselt, über denen die sanft säuselnde Stimme von Solange selbst schwebte. Es hatte etwas Hypnotisches, wie Solange ihre Textzeilen in den Raum entließ. Ihre Songs waren große Leinwände, die noch viel freien Platz fürs Weiterspinnen ließen.
Aber: Im Kontext dieses poptheoretisch raffinierten Konzerts jedoch war all das, so clever es auch gemacht war, nicht unbedingt mitreißend oder überwältigend. Von der vielschichtig verrätselten, cool flatternden Detailversessenheit, mit der Solange ihre Studioalben komponiert hat, als wäre es ein Siebengängemenü, war in den grobkörnigen Arrangements für die Spezialkapelle nur wenig zu hören. Also musste es die Bühnenshow selbst wieder herausreißen und mit den wenigen regelrechten Hits wie „Cranes in the Sky“, „F.U.B.U.“ oder „Almeda“ richten, um den Abend vor dem Trudeln durch Lifestyle-Langeweile zu bewahren.
Bewunderin küsst Solange Knowles in der Elbphilharmonie die Hand
Die Diskurs-Hohepriesterin verließ dafür tatsächlich ihren Altar in der Saalmitte und drehte mit dem Charisma-Gestenrepertoire einer klassischen Operndiva eine Runde am Bühnenrand. Eine Bewunderin, textsicher und strahlend vor Glück, tanzte dort mit ihr, eine andere küsste ihr ergeben und demütig die huldvoll gereichte Hand.
Den Abschluss bildete eine letzte Runde wildes Twerken und Ganzkörper-Durchdrehen, danach endete diese kurz, aber heftig bejubelte Performance fast so schnörkellos, wie sie begonnen hatte. Die nächsten Audientermine mit Solange in Selfie-tauglicher Kulisse stehen übrigens bereits fest: Ende Januar 2020, vier Abende im Sydney Opera House.
„Witness!" wird heute, 20 Uhr, wiederholt. Evt. Restkarten an der Abendkasse.