Hamburg. Für die Ausnahmesopranistin war der Besuch des Liederabends in der Elbphilharmonie ein ganz besonderes Ereignis. Eine Konzertkritik.

Wenn von der Anna die Rede ist, dann weiß in Salzburg jeder, wer gemeint ist. Wo sie auftaucht, teilt sich die Menge, sind Reporter und Blitzlicht zur Stelle. Anna Netrebko gehört dort sozusagen allen.

Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie dagegen war, typisch Hamburg, von Raunen und Rummel mal wieder nichts zu spüren, als die mutmaßlich berühmteste Sopranistin seit Maria Callas dem Liederabend ihres Gatten beiwohnte.

Anna Netrebko unter den Konzertbesuchern

Wobei, Liederabend? Okay, Yusif Eyvazov ist Tenor, es war ein Pianist zugegen, es wurden auch Lieder gegeben. Nur dass Eyvazov, von der New Yorker Metropolitan Opera bis zum Mokauer Bolschoi Theater aufs italienische Fach abonniert, zwischen den Liedern und Arien des Programms gesanglich so gar keinen Unterschied machte.

Man kann Eyvazovs Interpretationskonzept auf eine schlichte Formel bringen: Melodie ist gleich Gefühl ist gleich Lautstärke, je höher, desto lauter, für den Ausdruck kommt schon mal ein händeringender Ausfallschritt dazu.

Yusif Eyvazov muss Stimmbänder aus Stahl haben

Der Mann muss Stimmbänder aus Stahl haben bei all den Spitzentönen, die er im Lauf des Abends ohne erkennbare Anzeichen von Ermüdung ins Auditorium schmetterte. Wenn er gelegentlich die Lautstärke mal drosselte, bekam die Stimme einen körnigen Beiklang.

Spiel mit dem Zeitmaß, dynamische Schattierungen, Klangfarben und was dergleichen mehr sind an Zutaten eines wirklich gemeinsamen Musizierens? Ach was, das wird alles überschätzt. Eyvazov zog ziemlich genau ein Klangregister, das er im Volumen regulierte – meist, wie zu hören war, nach oben.

Pianist Adigozalzade hoppelt hinterher

Und Murad Adigozalzade hoppelte am Klavier treulich hinterher. Dem Pianisten hatte das Programmheft immerhin noch eine Biografie spendiert. Über den blassen und unsicher intonierenden Geiger Kurt Mitterfellner dagegen kein Wort, ebenfalls nicht über den sonoren Bariton Emil Sakakov, der bei einem Duett aus Verdis „Don Carlo“ sekundierte.

Stattdessen: Eyvazov in Fantasieuniform, Eyvazov in Tracht, Eyvazov in Ledermontur. Die weiteren Informationen beschränkten sich auf die Werktitel. Keine Texte, schon gar keine einführenden Bemerkungen, so als wären die Lieder und Arien nur Füllmaterial, weil eh alle nur auf Puccinis „E lucevan le stelle“ am Ende des Programms warteten.

Nach der Pause ging es Richtung Italien

Spätestens nach der Pause, als Eyvazov endlich in Richtung italienisches Repertoire abbog, begann sich die Stimmung der eines Sommerabends in der Arena di Verona anzunähern: Ein gutgelaunter Geräuschteppich grundierte die Lieder von Tosti, Cardillo, de Curtis, Zwischenapplaus nach jeder Nummer, bisweilen ein „Bravo“.

Das Verdi-Duett war längst absolviert, da ging Eyvazov in die Schlusskurve. Ohne „E lucevan le stelle“, Puccinis Allzeithit ersetzten die beiden kurzerhand durch „Non Ti Scordar Di Me“ von Ernesto de Curtis.

Anna Netrebko entschwand diskret

Ein bisschen Jubel noch, dann gingen die Künstler ab und das Publikum ebenso. Keine Zugaben, keine Party. Komisch. Und Anna entschwand diskret in die Künstlergarderobe.