Hamburg. Auftakt in der Elbphilharmonie: Moderne Klangtechnik mischt sich mit historischen Instrumenten. Ein Ohrenschmaus.
Ein schmales Boot mit aufgebogenen Enden gleitet durch enge Wasserstraßen, vorbei an Brücken und Häusern mit bröckelnden Fassaden. Auf dem Heckschnabel steht ein Mann in gestreiftem Hemd und Strohhut mit farbigem Bändchen, er steuert das Boot mit einem langen Ruder und trällert dazu romantische Weisen.
Kaum ein anderes Bild gilt – jedenfalls bei Nicht-Venezianern – so postkartenreif als Inbegriff von Venedig wie das eines fahrenden Gondoliere auf seiner Gondola. Es lag also näher als nahe, diese legendäre Figur zum Start des Hamburger Venedig-Festivals ins Zentrum zu rücken.
Ein Hauch von Adria in der Elbphilharmonie
Als musikalischen Gondelführer für ihren Auftakt hat die Elbphilharmonie den Bariton Holger Falk engagiert, der die Besucher im Kleinen Saal auf eine neunzigminütige Reise entführte.
Sie begann mit dem venezianischsten aller Geräusche: dem Glucksen, Fließen und Gurgeln des Wassers. Das Klangkunstduo Merzouga – mit zahlreichen Hörspielpreisen ausgezeichnet – hat die Alltagssounds der Lagunenstadt mit Mikrofonen aufgezeichnet und dem Konzert als akustische Kulisse unterlegt.
Wasserblubbern, Möwenkreischen und Glockenläuten, aber auch Türenquietschen, Ruderplatschen und mehrsprachige Ansagen aus Linienschiffen („Nächster Halt: Rialto!“) quellen in den Musikpausen aus den Boxen auf der Bühne und bringen einen Hauch von Adria an die Elbe.
Holger Falk breitet sein Netz aus kurzen Liedern aus
Auf diesem Grundrauschen breitet Holger Falk mit dem Ensemble Nuovo Aspetto ein Netz aus kurzen Liedern, Arien und Instrumentalstücken aus, das den Hörer einfängt und als lauschenden Begleiter der Gondelfahrt mit ins Boot holt.
Falk hat einige der schönsten Canzoni aus dem Repertoire der Gondoliere für sein Programm ausgewählt. In herrlichen Melodien von Domenico Cerutti, Pietro Auletta und anonymen Komponisten besingt er die nächtliche Stimmung beim Mondenschein, die Feierlaune des armen Mannes, und, natürlich, immer wieder das seltsame Spiel namens Liebe, in all seinen Facetten von der Neckerei über den erotischen Zauber bis zum Verrat durchs falsche Mündchen der Ninetta.
Hohe Ohrwurmdichte
Die Ohrwurmdichte der Lieder ist hoch, Venedig scheint sich hier als Geburtsstätte des Schlagers zu outen. Holger Falk, als Opern- und Liedinterpret gleichermaßen begehrt, findet genau den richtigen Ton für diese Musik: mit einem leichten Klang, der in seinem fast tenoralen Timbre Schlichtheit und Süße vereint. Besonders zauberhaft in der Schmonzette „La biondina in gondoletta“ über eine Gondelfahrt mit einer hübschen Blonden, deren Busen von einer leichten Brise entschleiert wird.
Wie ein vokales Chamäleon wechselt Falk die Farbe mit der Umgebung der Musik. Giftig spottet er über aufgebrezelte Lackaffen, näselnd imitiert er die vulgäre Sprache eines Gassenhauers („Per mi aver Catina“), bei dem das Publikum schüchtern den Refrain mitsingt. Dabei lässt der Bariton immer mal wohldosiert die innere Rampensau raus.
Auch im nicht ganz jugendfreien „Un’anguileta fresca“, deren Erzähler einer Dame namens Nina seinen „frischen Aal“ – höhö – zur pfleglichen Behandlung andient. Dort karikiert Falk den Testosteronüberschuss und die leichte Erregbarkeit des jungen Mannes mit großen Gesten, die ihm und dem Publikum gleichermaßen Spaß machen.
Mix historischer Instrumente
Musikalisch setzt das Programm seine Pointen vor allem durch gewitzte Arrangements. Die neunköpfige Gruppe Nuovo Aspetto versammelt einen bunten Mix historischer Instrumente, von der Barockgitarre über Traversflöte und Harfe bis zum Salterio, einem barocken Hackbrett.
Durch eine geschickte Verteilung der Soli gibt das Ensemble jedem Lied seine eigene Farbe und bereichert das vokale Programm außerdem mit kurzen Konzertsätzen des venezianischen Komponisten Antonio Vivaldi.
Derweil sitzt die zauberhafte Computermusikerin Eva Pöpplein – sichtbarer Teil des Duos Merzouga – links vom Ensemble auf der Bühne an einem schwarz überzogenen Tisch, wiegt den Kopf im sanften Groove der Stücke und steuert per Live-Elektronik nicht nur die venezianische Wasserkulisse, sondern auch einige Loops von vokalen Linien des Sängers in den Saal.
So wachsen zeitgenössische Klangtechnik und alte Instrumente, Geräusch und Musik, Alltag und Kunst zusammen: zu einem kurzweiligen Trip mit dem Gondoliere Veneziano, der Lust auf mehr macht.