Hamburg. Bei seinem Gastspiel als Don José in der Hamburgischen Staatsoper zeigte sich der Startenor äußerst facettenreich.

Akustisch problematische Plätze wie in der Elbphilharmonie gibt es in der Hamburgischen Staatsoper nicht. Hören kann man überall gut! Insofern musste Startenor Jonas Kaufmann bei seinem Gastspiel als Don José in einer Repertoire-Vorstellung von Bizets „Carmen“ alle Karten auf den Tisch legen. Es sei vorweggenommen: An diesem Abend hatte er ein ziemlich gutes Blatt. Es war der erste Hamburg-Auftritt nach der Debatte um Jonas Kaufmanns Konzert in der Elbphilharmonie im Januar.

Hier hatten Zuhörer auf für Gesangsdarbietungen weniger zu empfehlenden Plätzen hinter dem Orchester während des Konzertes ihren Unmut geäußert und teilweise den Saal verlassen. Kaufmann kritisierte anschließend im Abendblatt-Interview die aus seiner Sicht akustischen Defizite des Großen Saals. Keinerlei Unmut hingegen bei „Carmen“ in der Hamburgischen Staatsoper.

Jonas Kaufmann machte noch das Beste daraus

Jonas Kaufmann fand sich ohne Probleme in die reichlich biedere und die Handlung wenig tiefschürfend und ziemlich geradeaus bebildernde Inszenierung von Jens-Daniel Herzog. Konnte man bei der Premiere im Januar 2014 noch mit Mühe herauslesen, dass der Regisseur Don José als armen, benachteiligten Außenseiter verstand, der deshalb wie Büchners Woyzeck zum Mörder wird – er lässt ihn von seinen Soldaten-Kollegen zusammenschlagen und spielt diese Szene später bei einem Orchesterzwischenspiel mit den Jungen des Kinderchores nach –, so hatte diese Aufführung fast keine schauspielerisch-szenische Spannung. Statisches Herumstehen hilft jedenfalls nicht weiter.

Jonas Kaufmann machte noch das Beste daraus. Man glaubte ihm die Liebe, die Verzweiflung, Hilflosigkeit und Unerfahrenheit des von Carmen erst verführten und dann doch ziemlich cool entsorgten Don José. Kaufmann stattete seinen traurigen Helden mit vielen dynamischen und farblichen Schichten aus. Da gab es in der berühmten Blumenarie spannungsvolle Pianotöne voller Zärtlichkeit, da strahlte die heldische Höhe am Schluss im letzten beschwörenden Bitten an Carmen, ihn doch nicht zu verlassen. Und zwar mit Kraft, ohne unangenehme Schärfe.

Ovationen für Kaufmann und die anderen Sänger

Grandios und bewegend ist dieser Schluss von Bizets „Carmen“ immer wieder. Vor allem wegen der genialen Musik mit der Gleichzeitigkeit der Ereignisse, einerseits der auf den Mord hinauslaufenden brutalen Auseinandersetzung von Carmen und Don José und andererseits dem triumphalen Stierkampf des Widersachers Escamillo. Dirigent Pier Giorgio Morandi lief hier zu richtig guter Form auf. Bis dahin hatte er zwar für einen gekonnt gemischten und meist präzisen Orchesterklang gesorgt, aber durch allzu disziplinierte Tempi auch das eine oder andere Spannungsloch riskiert.

Sängerisch konnte sich diese Repertoire-Vorstellung im Ganzen jedenfalls wirklich hören lassen. Clémentine Margaine begeisterte mit ihrem warmen, kraftvollen Mezzosopran und ihrer souveränen Stimmbeherrschung als Carmen, auch wenn man sich doch mehr schauspielerischen Esprit wünschen würde. Ruzan Mantashyan sang die Don José wirklich liebende Micaëla mit feinem, lyrischem Sopran. Der Bassist Alexander Vinogradov als Escamillo, der auch jüngst als Zaccaria in Verdis „Nabucco“ zu wenig differenziert agierte, enttäuschte allerdings mit einem Dauerforte ohne Farben. Und vorneweg: der facettenreiche Jonas Kaufmann als Don José. Mit seinem dunklen, baritonal gefärbten Tenor vermittelte er dessen innere Not ungeheuer berührend. Ovationen gab es aber auch für die anderen Sänger.