Hamburg. Mit der Elbphilharmonie sind Begehrlichkeiten gestiegen, doch das Thema ist komplex und muss gesamteuropäisch betrachtet werden.

446 Euro und 10 Cent für eine Anna-Netrebko-Karte. Für ein zweistündiges Konzert der russischen Sopranistin und ihres Mannes Yusif Eyvazov. Ein Skandal? Ausdruck blinder Gier? Nun, in Hamburg jedenfalls wurde dieser Preis offensichtlich gern bezahlt; das Konzert am 11. Juni in der Elbphilharmonie (für das es auch einige Karten zum „Schnäppchenpreis“ von 124,10 Euro gab) ist längst ausverkauft.

Tatsächlich nimmt Hamburg in diesem Fall eine absolute Spitzenposition ein: In Frankfurt kosten die Netrebko-Karten zwischen 97,50 und 327,50 Euro, im französischen Orange sind lediglich zwischen 35 und 193 Euro fällig, und wer besonders findig ist, fährt ins dänische Aalborg. Dort ist der Weltstar schon für 80 bis 134 Euro zu erleben. Ist Hamburg also grundsätzlich ein extrem teures Pflaster?

Deutschland ist ein starker Klassikmarkt

Burkhard Glashoff, Geschäftsführer der Konzertdirektion Goette, die in Hamburg unter anderem in Elbphilharmonie und Laeiszhalle die Pro-Arte-Konzertreihen veranstaltet, sieht dieses Konzert des Wettbewerbers Elbklassik Konzerte GmbH als Ausnahmefall, als Ausreißer nach oben. Zwar sei Deutschland europaweit der stärkste Klassikmarkt und die Elbphilharmonie gemeinsam mit der Philharmonie in Berlin der teuerste Veranstaltungsort, doch Kartenpreise wie bei Anna Netrebko seien die absolute Ausnahme.

„Meine Schmerzgrenze liegt bei 200 Euro“, sagt er. Mehr wolle und werde er nicht für die teuerste Karte verlangen. Wenn sich damit das bisweilen sechsstellige Honorar eines Künstlers und die Saalmiete, die in Hamburg mit allen Nebenkosten bei bis zu 40.000 Euro liegen kann, nicht refinanzieren lasse, verzichte er darauf, den Künstler zu engagieren – weshalb Anna Netrebko nicht zu seinem Portfolio gehört.

Bei Ticketpreisen gibt es ein Ost-West-Gefälle

Grundsätzlich gebe es bei Ticketpreisen in Deutschland ein West-Ost-Gefälle, weil in der DDR kein mit dem Westen vergleichbarer Konzertmarkt existiert habe und es immer noch notwendig sei, die finanzielle Schwelle niedrig zu halten, um Interessierte in die Klassikkonzerte zu bringen. Das seit vielen Jahrzehnten treue Abo-Publikum fehlt weitgehend. Auch Berlin nehme eine Sonderrolle ein, da während der Teilung der Stadt von staatlicher Seite stark subventioniert wurde. Neben der Kaufkraft und der Historie spielen natürlich auch das Renommee der jeweiligen Konzerthalle und die Saalgröße eine wichtige Rolle.

Bei Pianist Grigory Sokolov, längst eine Klavierlegende, sei etwa davon auszugehen, dass er in acht deutschen Städten für acht unterschiedliche Honorare auftritt und in einer strukturschwachen Kleinstadt nur 30 Prozent dessen erhält, was für den – stets ausverkauften – Auftritt in der Laeiszhalle gezahlt wird. „Die Künstler verstehen, dass es unterschiedliche Voraussetzungen gibt und passen ihre Vorstellungen an“, sagt Glashoff. Natürlich koste dann eine Konzertkarte in Wilhelmshaven und Braunschweig auch weniger als in Hamburg und München.

Die Elbphilharmonie will ein „Haus für Alle“ sein

Bei Top-Namen in Großstädten gibt es weit weniger Unterschiede. So werden für ein Konzert mit Anne-Sophie Mutter in der teuersten Kategorie in Hamburg und München jeweils 149 Euro, in Berlin 150 Euro und in Köln 155 Euro aufgerufen. Größer sind die Unterschiede in der jeweils günstigsten Kategorie. Hier liegt die Spannbreite bei 25 (Hamburg) bis 60 Euro (Berlin).

Wer nun die Preise in den gefragtesten Häuser, der Elbphilharmonie und der Philharmonie in Paris, miteinander vergleicht, dürfe, so Glashoff, nicht außer Acht lassen, dass Konzertkarten in Frankreich subventioniert werden und die Preise in der Philharmonie de Paris staatlich gedeckelt sind. Hier stehe die Idee im Vordergrund, ein „Haus für Alle“ zu sein.

Eine Parallele zu Hamburg, wo die HamburgMusik als Betriebsgesellschaft von Elbphilharmonie und Laeiszhalle ebenfalls diesen Ansatz verfolgt. „Grundsätzlich sind die günstigsten Karten deshalb bei uns ganz besonders preiswert“, erklärt Pressesprecher Tom R. Schulz und verweist darauf, dass sowohl bei den Veranstaltungen von HamburgMusik, aber auch beim Philharmonischen Staatsorchester und beim NDR Elbphilharmonie Orchester die erschwinglichste Ticketkategorie zwischen zehn und 15 Euro liegt. Bei vergleichbaren Häusern und Veranstaltern seien die billigsten Karten sonst bis zu dreimal so teuer. Der bei HamburgMusik mögliche Spitzenpreis von 210 Euro für eine Karte der teuersten Kategorie werde nur drei bis vier Mal im Jahr aufgerufen.

Insgesamt, das zeigen deutschland- und europaweite Preisvergleiche, ist Hamburg trotz des weiterhin ungebremsten Ansturms auf die Elbphilharmonie kein außerordentlich teures Pflaster für Konzertgänger.

Von Ausreißern wie dem Arienabend mit Anna Netrebko einmal abgesehen.