Hamburg. Genial eingetaucht: Die Cellistin meisterte die Akustik im Großen Saal – und ließ den Dirigenten etwas blass aussehen.
Ein scharfer Akzent des Cellos von Sol Gabetta, wie ein Stich ins Herz. Die besänftigende Antwort der Bläser. Und dann diese wiegende Bewegung, die sich allmählich zu einem schmerzvollen Thema verdichtet. Wie Edward Elgar in der Elbphilharmonie den Hörer gleich zu Beginn seines Cellokonzerts in die Musik und deren Stimmung hineinsaugt, ist einfach genial.
Auch 100 Jahre nach seiner Entstehung entfacht das letzte Wort des britischen Komponisten eine emotionale Kraft, der man sich nur schwer entziehen kann. Zumindest, wenn da eine Solistin wie Sol Gabetta auf dem Podium sitzt. Die argentinische Cellistin – Stammgast in der Elbphilharmonie – wurde so eins mit ihrem Instrument, wie es großen Interpreten gelingt, wenn sie ganz in die Musik eintauchen. Dann werden die Saiten zu Stimmbändern der Seele.
Getragen vom Royal Philharmonic Orchestra unter Leitung von Lionel Bringuier, ließ Gabetta ihr Instrument singen, schmiegte die Töne eng aneinander, reizte den Ambitus des Cellos bis in höchste Daumenlagen aus und beschwor Elgars tiefe Melancholie.
Über der Musik schwebt die Wehmut des Abschieds
Sie bildet das Fundament des Stücks. Auch wenn der Komponist virtuose Passagen einstreut und das Finale mit rustikalen Rhythmen belebt, liegt doch immer die Wehmut des Abschieds über der Musik. Sol Gabetta formuliert diese Botschaft im Dialog, aber auch im Einklang mit dem Orchester, etwa wenn sie durch einen Seitenblick die Bratschengruppe mit ins Unisono holt.
Gabetta kennt die Sensibilität des Großen Saals und weiß, dass auch das feinste Pianissimo trägt, wenn sie die Saiten nur mit ein paar Bogenhaaren streift. Der Mut zum Flüstern zahlt sich aus: Elgars Cellokonzert offenbart unter ihren Händen eine Intimität, die sonst mitunter von den Orchestermassen verdeckt oder gar erdrückt wird.
Elbphilharmonie: Sol Gabetta beherrscht die Akustik
Die Cellistin fühlt sich spürbar wohl im Raum und vertraut auf seine Transparenz. Auch in der Zugabe, einem Stück von Peteris Vasks, das die Melodie des Cellos mit der menschlichen Stimme vereint. Gabetta streicht und singt dazu mit hellem Sopran. Zart, zerbrechlich, anrührend.
Ihr Auftritt prägt das Konzert der moderierten Reihe „Faszination Klassik“. Selbst nach der Pause, wenn sie nicht mehr dabei ist – weil dort genau jene Portion Extra-Präsenz fehlt, die sie auf die Bühne bringt. Lionel Bringuier, 32 Jahre jung, ist ein feiner Dirigent, keine Frage. Nach einer schmissigen Nicolai-Ouvertüre zum Auftakt ist er bei Elgar ein aufmerksamer Begleiter und navigiert das Royal Philharmonic Orchestra schließlich souverän durch die spätromantischen Klangströme der zweiten Sinfonie von Rachmaninow.
Aber gerade hier, wo der Komponist sich eine Stunde lang etwas weitschweifig verbreitet und gelegentlich in Schönheit verliert, hätte es einer noch strafferen Führung bedurft, eines noch stärkeren Ausdruckswillens, um zum emotionalen Kern der Musik vorzudringen. Dafür wirkte Bringuier eine Spur zu nett. Trotzdem wurden er und das Orchester am Ende ausgiebig gefeiert.