Hamburg. Davon, dass seine Konzertpartnerin Claron McFaddon wegen einer Erkältung ausfiel, ließ sich Alexander Melnikov nicht beirren.

Künstlerpech, jahreszeitentypisch. Da haben die Sopranistin Claron McFadden und der Pianist Alexander Melnikov sich ein Liederabendprogramm nur mit Neuer Musik ausgedacht und dann erkältet sich die Sängerin und fällt aus. Bei dem Programm kann von jetzt auf gleich auch niemand einspringen. Das erklärte der verbliebene Pianist seinem Publikum im Kleinen Saal der Elbphilharmonie mit einem derartigen Charme, dass er die Lacher sofort auf seiner Seite hat.

Melnikov allein zu hören war allerdings auch kein Fehler. Er zog, zur Freude des Veranstalters NDR das neue werk, umgehend einen kleinen Sonatenabend aus der Tasche: „nur ohne Neue Musik“, wie er verschmitzt bemerkte.

"Zwölftöniger als alles, was Schönberg je komponiert hat"

Alfred Schnittkes Jugendwerk „Improvisation und Fuge für Klavier“ kündigte Melnikov an als „zwölftöniger als alles, was Schönberg je komponiert hat“. Unter seinen Händen entstanden aus dem dichtgewobenen Werk Geschichten, große und kleine.

Die vier Präludien und Fugen, die er aus op. 87 von Schostakowitsch ausgewählt hatte, klangen, als hätte der Komponist Bach mal eben in die Jetztzeit geholt. Ein „Wohltemperiertes Klavier“ durch die harmonische Brille der klassischen Moderne gesehen war das, mal singend, mal sprudelnd frisch. So aufgeräumt hört man Schostakowitsch nicht alle Tage, nur in Nummer 8 in fis-Moll brach sich der für ihn so typische bekenntnishafte Charakter Bahn. Ein wahres Fest wurde die furiose Sonate Nr. 6 von Sergej Prokofjew. Dieser Pianist hat eine Klangfarbenpalette zur Verfügung, ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt, eine Beredtheit, dass man dauernd aufspringen und nachschauen möchte, was er da eigentlich macht zwischen seinen Fingerspitzen und der Tastatur.

Aus der Not eine konzertante Tugend gemacht

Die erste Konzerthälfte bestritt ein Streichquartett des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit „Black Angels“ von George Crumb aus dem Jahre 1970. Crumb hat die 13 Miniaturen unter dem Eindruck des Vietnam-Kriegs geschrieben und den vier Streichern allerhand Extraaufgaben in die Noten geschrieben: Sie strichen auf Wassergläsern und Gongs oder auch falschherum auf ihren Saiten. Insekten surrten durch den Raum, Schrapnelle pfiffen, und zwischendurch klang fern und resigniert das gute alte Europa durch. Prägnanter kann man keine Kriegsreportage komponieren.

Was für ein Abend. So kann man aus der Not eine Tugend machen.