Generalmusikdirektor Kent Nagano, Sopranistin Simone Kermes und andere äußern sich in der Debatte über Beifall in der Elbphilharmonie.
Kent Nagano, Generalmusikdirektor:
Wir freuen uns natürlich über die Begeisterung der Zuhörer, auch wenn der Musikfluss einer Symphonie durch das Applaudieren vielleicht kurz gestört wird. Aber der Beifall zwischen den Sätzen zeigt uns, dass wir viele Besucher im Konzert haben, die mit den Gepflogenheiten nicht vertraut sind und vermutlich erstmals ein klassisches Konzert erleben. Und das freut uns riesig! Außerdem sollte man nicht vergessen, dass das Applaudieren zwischen den Sätzen früher ein gängiges Zeichen der Wertschätzung gegenüber dem Komponisten war. Das Unterlassen des Beifalls zwischen den Sätzen ist historisch gesehen noch gar nicht so alt. Im Jahr 2017 kann sich jeder Besucher eines klassischen Konzerts so verhalten, wie er möchte, solange die übrigen Konzertbesucher nicht gestört werden.
Frank P. Hesse, Leser:
Ein Konzert (klassisch) wird doch erst dann zum Genuss, wenn man alle Sätze ungestört von Zwischenapplaus mit der erholsam nachklingenden Stille zwischen den Sätzen erleben kann. Gute Konzertmeister schaffen es durch kleine Gesten (z. B. anhaltendes Hochhalten des Taktstockes), das Publikum zur Stille zu animieren. Grauenhaft ist auch – besonders in Hamburg -, dass oft vor lauter Begeisterung noch in den letzten Schlussakkord hineingeklatscht wird, ohne das (durch Abwinken des Dirigenten signalisierte) tatsächliche Ende abzuwarten und vielleicht noch eine Sekunde genussvoller Stille dranzuhängen.
Simone Kermes, Sopranistin:
Ich finde, man sollte klatschen, wenn es das Gefühl will – wenn man begeistert ist, dann ist es doch einfach nur Ausdruck der Freude. Überhaupt sollten die Deutschen da auch mal lockerer drüberstehen. Im Ausland, zum Beispiel in Mexiko, denkt man darüber gar nicht nach, man klatscht und schreit einfach. Wenn zwischen den Sätzen geklatscht wird, ist es ein Zeichen, dass spannungslos und ohne Energie gespielt wird. Niemand klatscht, wenn es einen Moment der absoluten Tiefe gibt – das ist dann das Besondere, der Kick, das Überirdische in einem Konzert: unvergesslich und unverwechselbar.
Peter Wigandt, Leser:
Viele Menschen sind heute immer weniger bereit, persönliche Befindlichkeiten einem höheren Wert unterzuordnen, hier z. B. dem inneren Zusammenhang einer Komposition sowie dem vertieften Genießen vieler Zuhörer, wenn man selber doch gerne klatschen möchte. Um aber Genuss und Kultur auf einem hohen Niveau zu erhalten und zu pflegen, ist es auch notwendig, sich gelegentlich Zügel anzulegen. Das gilt für alle Bereiche. Heute wird Zügellosigkeit oft als (vermeintliche) Freiheit gefeiert, und Disziplin, ohne die Freiheit auf Dauer nicht möglich ist, verpönt.
Alexander Krichel, Pianist:
Mich persönlich stört Zwischenapplaus nicht. Er ist ein Ausdruck von Respekt, Freude und Begeisterung. Früher war Applaus zwischen den Sätzen völlig normal, in der Oper passiert es noch immer. Ist es nicht schön, wenn jemand sich ganz vergisst und so bewegt ist, dass er dies dem Künstler sofort kommunizieren möchte? Verhaltensregeln finde ich völlig abschreckend. Musik ist Emotion und löst Emotionen aus. Diese Emotionen sind nur dann ehrlich, wenn sie frei „von der Leber weg“ kommen. Der Künstler versucht immer, ehrlich zu sein, das sollte man vom Publikum auch erwarten, eventuell sogar fordern. Sonst ist Applaus auch nur noch die Erfüllung einer Verhaltensregel. Das wäre doch schrecklich.
Hans-Otto Schulze, Leser:
Wenn ich in ein klassisches Konzert gehe, so ist das für mich wie für viele andere eine feierliche, gottesdienstähnliche Veranstaltung, bei der ich, wie in der Kirche (wo heutzutage leider auch schon geklatscht werden darf), nicht gestört werden möchte. Weshalb muss ich mich im klassischen Konzert an die unbeherrschten Gefühlsausbrüche jener Banausen gewöhnen, die nicht wissen, wie man sich benimmt? Sollen die sich doch an die Sitten und Gebräuche gewöhnen, die auf dem kulturellen Niveau gelten, für das die Elbphilharmonie in erster Linie errichtet worden ist!
Anna Vinnitskaya, Pianistin:
Normalerweise stört mich Applaus zwischen den Sätzen überhaupt nicht. Es gibt allerdings manchmal Werke, bei denen man eher die Spannung über die einzelnen Sätze oder Nummern hinweg aufbauen möchte. Manchmal freue ich mich sogar über den Applaus zwischendurch. Das zeigt doch, dass nicht nur die „alten Hasen“ zum Konzert gekommen sind – und wir brauchen unbedingt neue (und unerfahrene) Konzertbesucher für die nächste Generation!
Klaus-Peter Müller, Leser:
Benimmregeln, wenn diese sich als bis dato hilfreich gezeigt haben, soll man beibehalten. Schon einmal überlegt, dass ein Konzertbesuch zu tun hat mit Respekt vor dem Künstler und zusätzlich mit Empathie? Konzentration benötigt jeder Künstler mit etwas Ruhe, zum Beispiel vor dem nächsten Konzertsatz, da kann man sich als Publikum nicht ausleben mit Geklatsche wie im Volksmusikstadl. Jeder einigermaßen gebildete Mensch informiert sich zudem im Vorwege, wie man was tut oder gar unterlässt, wenn man Neuland betritt. Aber Rücksicht und Empathie werden zusehends zu Fremdworten in unserer ach so modernen Gesellschaft.
Nicole Beencke, per Facebook:
Oh ja, vielleicht sollte man einen Test über Musikwissen einführen, der erst zum Bezug der Karten berechtigt. Wäre das schön, wenn alle den Bau bezahlen, aber nur eine Kulturelite rein darf. Mir sind Leute, die an vermeintlich „falschen“ Stellen aus ehrlicher Begeisterung klatschen, 1000-mal lieber als die regelmäßigen Besucher, die auf den Schlussapplaus verzichten und sich durch die Reihen quetschen, um ja vor allen anderen an der Garderobe zu sein.
Baiba Skride, Violinistin:
Mich stört es nicht besonders, ich finde es sehr schön, wenn die Musik die Leute so mitgenommen hat, dass sie klatschen müssen. Es ist manchmal die Spannung, die von einem abfällt, manchmal Unwissenheit, aber es ist ja doch eine Anerkennung. Finde ich nicht störend, manchmal sogar ganz süß! Ich verstehe, dass es Werke gibt, bei denen es nicht besonders passt, aber für mich persönlich ist es wichtiger, die Leute zu begeistern, als alles korrekt zu erleben. Ein bisschen Emotionen haben doch noch niemandem geschadet!
Frank Heubach, Leser:
Bitte nicht schon wieder eine falsch verstandene (und falsch verstehbare) „Willkommenskultur“ – diesmal in der Elbphilharmonie. Dort finden viele Arten von Konzerten statt – von Rock über Jazz und Pop bis zur Klassik. Jeder Konzert-Typus bringt anderes mit sich, auch jeweils seine eigene Art, wie das Publikum seiner Freude Ausdruck verleiht oder wie es auch mitwirkt. Wer sich dann ohne Vorbereitung in ein klassisches Konzert begibt, sollte sich dort den hier (und in vielen Teilen Europas) heute üblichen Gepflogenheiten anpassen und erst am Ende eines Werkes klatschen. Oder wollen wir noch abwarten, bis mitgesungen und mitgeklatscht wird?
Jeffrey Tate, Symphoniker Hamburg:
Beim Klatschen oder nicht Klatschen kommt es auf die Stimmung des Satzes an. Wenn ein Satz ganz kräftig endet, dann kann ich das gut verstehen. Es stört, wenn er ganz ruhig endet und dann ein Applaus einsetzt.
U. Matthiesen, Leser:
Die „ungeschriebenen Regeln“ bei Klassikkonzerten sind keine starre Konvention, sondern haben ihren Sinn. Ein Sänger bei einem Liederabend schafft zwischen den einzelnen Liedern innere Brückenschläge – die Stille im Publikum, die Möglichkeit des Nachklingens einer musikalischen Aussage ermöglichen dies erst, auch für den Zuhörer. Bei Sinfoniekonzerten ist es ähnlich – die einzelnen Sätze stehen in ihrer Gegensätzlichkeit miteinander in Beziehung – die stillen Pausen sind wesentlich, sie sind gefüllt mit dem Nachklang des soeben Gehörten und der Vorbereitung auf das in wenigen Augenblicken neu Erklingende. Applaus, so gut er gemeint ist, zerstört diese „gefüllten Pausen“ und zerreißt den inneren Zusammenhang.