Hamburg. Ein verstörter Sänger, erzürnte Zuhörer – aus der Symbiose Popmusik und Elbphilharmonie scheint sich ein Kulturkampf zu entwickeln.
Es war kein normales Konzert für Lambchop, und wahrscheinlich war die Achtung Kurt Wagners vor der anstehenden Aufgabe ziemlich groß. Kurz vor dem Auftritt im Großen Saal der Elbphilharmonie turnte der Bandchef bereits auf der Bühne herum, Basecap, Hornbrille, Hemd und Jeans – der ganze, bald 60-jährige Kerl wieder mal als Idealgestalt des Nashville-Normalos. Der befand sich nun im für den Augenblick schicksten und angesagtesten Konzerthaus der Welt, dort kann man weit emporschauen. Überall Leute, jeder von ihnen kann einen bestens sehen. Wagner blickte voller Respekt nach oben.
Wenig später begann das Konzert. Mit zwei Stücken, wie sie typischer für Lambchop nicht sein könnten. Sieht man mal davon ab, dass Wagner seinen warmen Bariton neuerdings von Zeit zu Zeit gerne elektronisch verfremdet. Es spielte also ein sanftes Piano, Bass und Schlagzeug gaben zurückhaltend den Rhythmus vor. Kurt Wagner schickte ein paar Loops in das hohe Rund, dann beschwor er in „The Hustle“, dem besten der neuen Lieder, Ruhe und Nostalgie.
Das sind eher nach innen gewandte Zustände der Seele. Trotz seines Nachnamens ist der amerikanische Musiker Wagner kein Mann des Bombastes. Lambchop spielt meist eine Mischung aus Folk, Songwriter-Pop, Soul und Jazz, eine Art Barmusik. Von großer Klasse. Man kann diese Musik sehr aufmerksam hören und mit akribischer Hinwendung zum Handwerk – die Töne sitzen. Man kann Lambchop aber auch als perfekten Hintergrundsound begreifen.
Im Hochglanz-Ambiente des neuen Konzerthauses klingt die Band so oder so gut, und weil, Stichwort hochkulturelle Anmutung der Architektur, eine andächtige Stimmung herrschte, spielten Wagner und Band vor so hochkonzentrierten und aufmerksamen Zuhörern wie sie es vermutlich selten tun. Von jenen Zuschauern aber wollten, um zum problematischen Teil des Abends zu kommen, nicht alle die volle Wegstrecke mitgehen.
Kein Respekt vor der Darbietung?
Es mögen 50 Leute gewesen sein, die sich ab der Hälfte des Konzerts peu à peu verabschiedeten. Mit aller für diesen Saal charakteristischen Deutlichkeit: Hier hört man nicht nur alles, man sieht auch alles. Nämlich in diesem Fall allem Anschein nach enttäuschte Besucher, die mit Lambchop nichts anfangen konnten und sich nun unter den üblichen Beschwernissen für alle Beteiligten mit der Garderobe über dem Arm davonmachten.
Eine eigentlich solide Veranstaltungsdauer von knapp zwei Stunden, die aber nicht jeder durchhalten konnte oder wollte: Da muss man schon nach dem Respekt vor der künstlerischen Darbietung fragen. Dieser Respekt scheint nicht unbedingt eine Kategorie zu sein, die alle Besucher für sich gelten lassen wollen. Müssten sie es denn?
Mischung aus Dankbar- und Beleidigtsein
Das ist die Frage, die sich stellt. Man ist geneigt zu sagen, dass man bei Nicht-Gefallen doch jedes Popkonzert so zügig verlassen kann, wie man eben möchte. Bei Klassikkonzerten verhält sich die Sache aber in der Regel anders. Dort geht man allenfalls in der Pause. Warum sollten derlei Gepflogenheiten nicht, wenn der Konzertveranstaltungsort nun mal nach einem speziellen Benimm verlangt, ausnahmsweise auf die Popmusik übertragen werden?
Es ist schon so, dass die Stimmung einer Konzertgemeinschaft beeinflusst werden kann. Spätestens dann, wenn die Protagonisten auf der Bühne den Schwund mit einem verkniffenen Gesicht quittieren. Wagner, an sich eh schon ein eher schüchterner Zeitgenosse, sprach in einer Mischung aus Dankbar- und Beleidigtsein seinen Dank an die aus, „die neugierig sind auf unsere Musik – die Hälfte von euch kennt uns wahrscheinlich gar nicht“.
Ein bisschen Kulturkampf
Es wird in der Honeymoonphase in der Beziehung zwischen Stadt und Konzerthaus noch länger so sein, dass die einen der Hülle, die anderen des Inhalts wegen Karten für die Elbphilharmonie kaufen. Solange das noch so ist, wird es im Konzert Missstimmungen geben wie bei Lambchop, wo schon bei den ersten ignoranten Früh-Gehern eine Besucherin diesen ein erbostes „Dann haut doch ab!“ hinterherschleuderte. Kulturkampf? Ein bisschen.
Der vereinzelt aufgebrochene Bund zwischen Künstlern und Zuschauern wurde gegen Ende hin erneuert: Für die tapferen Lambchop gab es kräftigen Applaus, und das brav nach jedem Stück, Zugaben inklusive.