Das Filmfestival läuft - inklusive einiger, aber nicht übermäßg vieler Prominenter auf dem Roten Teppich. Sollen Blut und Geballere vom Promimangel ablenken?
Cannes. Langsam, ganz langsam kommt das Filmfestival in Cannes in Schwung. Mariah Carey, Eva Longoria, Juliette Binoche, Monica Bellucci oder Sophie Marceau konnten am Wochenende auf dem Roten Teppich nicht über den Star-Mangel der ersten Tage hinwegtäuschen. Brad Pitt und möglicherweise auch Angelina Jolie, die unvermeidliche Paris Hilton, Bill Clinton und Dauergast Sharon Stone werden erst in den kommenden Tagen erwartet.
Als gelte es, den Promi-Reizmangel auszugleichen, bot der Wettbewerb bisher viel drastische Gewalt in allen kreativen Varianten und verschiedenen Genres. Und die Horror- und Gewalthöhepunkte sollen mit Lars von Triers „Antichrist“ und Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ eigentlich noch kommen.
Munteres Rumgeballer und Blutbeutelspritzen wie bei einem „Paintball“-Spiel im Wald zeigt der Kultregisseur Johnny To aus Hongkong. Sein Gangsterfilm „Vengeance“ (Rache) ist hochelegant und stylisch in satten Farben inszeniert. Auch der französische National-Rocker Johnny Hallyday passt mit seinem verwitterten Reptiliengesicht prima in die Hauptrolle eines Mannes, der seine von chinesischen Triaden ermordete Familie rächen will. Doch die Geschichte über den Sinn von Vergeltung um jeden Preis versickert spurlos inmitten all der optischen Reize.
Knallharte realistische Gewalt bringt der Franzose Jacques Audiard in „Un Prophète“ (Der Prophet) auf den Punkt. Sein Gefängnisfilm zählt zu bisher besten und nachhaltigsten Werken im Wettbewerb um die Goldene Palme. Konsequente Brutalität ist hier kein Stilmittel, um das Publikum bei Laune zu halten, sondern treibende Kraft in der Entwicklung der Charaktere. Angsterfüllt und völlig unerfahren kommt ein junger Araber in Frankreich hinter Gitter. Im Knast lernt er schnell die Spielregeln des organisierten Verbrechens und weiß sie geschickt für sich zu nutzen.
Mit der Aussicht auf Horror ködert der philippinische Regisseur Brillante Mendoza die Aufmerksamkeit. Sein Filmtitel „Kinatay“ heißt übersetzt „Schlachtung“. Doch bevor es soweit kommt und eine Prostituiere aufgeschlitzt und in Stücke gehackt wird, quält Mendoza das Publikum viel schlimmer mit lärmenden Straßenszenen aus Manila, einer endlos langen Autofahrt durch die Dunkelheit und der banalen Moral, dass nicht jeder nette Polizeischüler als Held geboren ist.
Einen freundlich stimmenden Lichtblick bot der in Taiwan geborene und in den USA lebende Regisseur Ang Lee (“Brokeback Mountain“). Vor der Galavorführung seines Films „Taking Woodstock“ bebte die Treppe zum Festivalpalais am Samstagabend unter dröhnender Musik von Jimi Hendrix oder den Doors. Er habe sich nach sechs durchweg tragischen Filmen in 13 Jahren „danach gesehnt, endlich eine Komödie zu machen“, sagte der Oscar-Preisträger in Cannes.
Passend zum 40-jährigen Jubiläum des legendären Woodstock-Musikfestivals in diesem Sommer nähert sich Ang Lee dem Ereignis durch die Hintertür. Sein Held wider Willen ist ein junger Mann, der eigentlich nur das heruntergekommene „El Monaco“-Motel seiner Eltern retten möchte. Er ist es, der den Veranstaltern des Festivals den Ausweg auf Farmland nahe dem Motel ermöglicht. Völlig unerwartet steht er dann zwar fernab der Bühne, aber im Zentrum der Bewegung.
„Taking Woodstock“ ist ein unterhaltsamer Spiegel der friedlichen Hippie-Kultur und ihrer frühen Kommerzialisierung. Ang Lee verfranst sich allerdings in zu vielen Geschichten: Das homosexuelle Outing der Hauptfigur, die tiefen Ängste der jüdischen Eltern, das Vietnam-Trauma eines Freundes, die wirtschaftlichen Interessen der Woodstock-Veranstalter, Spießertum, Drogenkultur, Selbsterfahrung und Schlammrutschen. All das beschert seinem Film Farbe und Atmosphäre - aber keinen dramaturgischen Höhepunkt.