Der studierte Philosoph und Psychologe geht in seinen Filmen dem Wesen des Menschen auf den Grund - er beobachtet sie wie in einem Forschungslabor. Oft findet er Angst, Bedrohung und Gewalt.
Cannes. Michael Haneke verlangt seinem Publikum eine Menge ab. Seine Filme haben stets etwas Verstörendes. Der in München geborene Österreicher, der am Sonntagabend mit der Goldenen Palme des Festivals in Cannes ausgezeichnet wurde, legt seine elegant inszenierten Werke oft wie einen Thriller oder Krimi an – und verweigert am Ende die Auflösung: „Das ist mein Prinzip“, erklärte der 67-Jährige in Cannes. Es sei die Aufgabe von Kunst, Fragen zu stellen. Danach sei der Betrachter dran. Haneke: „Ein Film ist wie eine Sprungschanze. Springen muss der Zuschauer selbst.“
Eine Mischung aus Angst, Bedrohung und Gewalt bildet den gefühlten Kern vieler Haneke-Filme, die das Verhalten von Menschen unter besonderen Bedingungen wie in einer Forschungsstudie unter der Lupe beobachten. Der Sohn eines Schauspieler-Paares hat sich schon früh bemüht, dem menschlichen Wesen auf den Grund zu gehen: Er studierte Philosophie und Psychologie.
Nach Arbeiten fürs Fernsehen gelang ihm mit seiner zweiten Kinoarbeit „Bennys Video“ 1992 eine Provokation: Der heute fast visionär wirkende Film löste eine Diskussion über die Folgen von Gewaltvideos auf Jugendliche aus – ein Thema, das Haneke fünf Jahre später mit dem Schocker „Funny Games“ weiter vertiefte. Hier quälen und foltern zwei Jugendliche eine Familie in einem Ferienhaus kaltblütig zu Tode, anscheinend ohne Motiv, ohne große Emotion, neugierig auf Leid – und begleitet von Gewaltdarstellungen auf dem Fernsehschirm.
Danach ging Haneke nach Paris, wo seine Arbeit auf größte Bewunderung stieß. In Frankreich verfilmte er mit Isabelle Huppert als Hauptdarstellerin den Roman „Die Klavierspielerin“ von Elfriede Jelinek. In Cannes gab es dafür 2001 den Großen Preis der Jury. 2005 folgten ein Regiepreis in Cannes und der Europäische Filmpreis für seinen beunruhigenden Thriller „Caché“ mit Juliette Binoche.
Für Haneke entspringen „alle Formen von Gewalt und Terrorismus derselben Quelle“, betonte er in Cannes: der Perversion von Idealen, die man in soziale Regeln übersetzt. In „Das weiße Band“ sind es die „Schwarze Pädagogik“ der wilhelminischen Zeit, die absolute Autorität von Vätern, das Prinzip von Bestrafung durch „reinigende“ Prügel, der rigorose Glaube, Heuchelei und Frauenverachtung, die zu verkrüppelten Kinderseelen führen.
Ob diese Kinder sich dann tatsächlich ein gewalttätiges Ventil suchen, ob sie möglicherweise besonders empfänglich werden für den deutschen Faschismus 20 Jahre später – das beantwortet er nicht. In Deutschland, betonte der Regisseur, könne man das gern als „deutsches Thema sehen“, aber sein Film habe eher einen universellen Ansatz. Genauer wollte er nicht werden. Seinen Prinzipien bleibt Haneke beharrlich treu.