Hamburg. Im Lichthof Theater feiert ein Festival jüdisches Leben in Hamburg – in all seiner Diversität. Dazu dürfen bewusst Klischees gehören.
Ach, herrlich: jüdischer Humor. Ein Darsteller erzählt den Witz vom Rabbi, der sich sehnlichst wünscht, einmal Schweinefleisch zu essen. Große Freude, Gelächter, es ist ironisch, böse, lustig. Und kippt ziemlich schnell. Plötzlich nämlich sind die Witze keine harmlose Lästerei mehr, plötzlich schleicht sich harter Antisemitismus ein, plötzlich verlagert sich das Geschehen ins Konzentrationslager. Und an der Bühnenrückwand erscheint eine Schrift: „Nur Juden dürfen lachen!“ Die haben aber wenig zu lachen. Doch nicht so herrlich, dieser Humor.
Ron Zimmering und Dor Aloni proben derzeit mit der Bürger:innenbühne des Lichthof Theaters die Stückentwicklung „Juden Juden Juden“. Es ist Hauptprobe, eigentlich steht die Struktur des Abends schon, aber die Regisseure sind sich bewusst, dass sie hier mit einer fließenden Ästhetik zu tun haben. „Wie das so ist bei Stückentwicklungen, werden ständig Sachen geändert“, meint Zimmering. Also greift er immer wieder in die Probe ein, verändert den Rhythmus, korrigiert Ungenauigkeiten. Und lässt das Stück so nach und nach entstehen, eine „vielstimmige Geschichte zum jüdischen Leben in Hamburg“, die sich auf die Erfahrungen der Teilnehmer stützt.
Lichthof Theater: Bis zum 24. Juni feiert ein kleines Festival das jüdische Leben
Wie vielstimmig diese Erfahrungen sind, wird schon in den Selbstvorstellungen deutlich: Da ist die Atheistin, die ihr Judentum ganz ohne religiösen Hintergrund definiert. Die Frau, die lange Zeit gar nicht wusste, dass ihre Familie jüdisch ist. Der junge Mann, der erfahren hat, dass sein Großvater ein überzeugter Nationalsozialist war, und der jetzt zum Judentum konvertieren möchte. Was haben diese ganz unterschiedlichen Charaktere miteinander zu tun?
„Juden Juden Juden“ ist Teil eines größeren Zusammenhangs: Bis zum 24. Juni findet am Lichthof ein kleines Festival statt, das jüdisches Leben feiern will, mit Lesungen, Konzerten und einer Aufführung von Alonis Performance „Hitler Baby One More Time“. Und wenn man aus diesem Programm etwas herauslesen kann, dann, dass jüdisches Leben in Deutschland extrem divers ist. Was auch Kuratorin Simoné Goldschmidt-Lechner betont: „Es gibt das jüdische Leben in Hamburg genauso wenig, wie es die Juden gibt, ob in Hamburg oder sonst auf der Welt. Es gibt religiöse Juden, atheistische Juden, Juden, die aus ganz verschiedenen kulturellen und sprachlichen Kontexten kommen, mit unterschiedlichen Lebensrealitäten.“
Lichthof: Der deutsche Umgang mit jüdischem Leben bleibt schwierig
Goldschmidt-Lechners jüdische Mutter kommt aus Südafrika, aus einer PoC-Gemeinschaft – was die Theatermacherin zur Jüdin macht, die Religion wird hier von der Mutter weitergegeben. „Juden Juden Juden“ thematisiert das folgende Problem: Wie geht man mit solch einer auf das Geschlecht bezogenen Kategorie um, wenn Geschlechtergrenzen fließend werden? Tja.
Entsprechend ist der deutsche Umgang mit jüdischem Leben schwierig: In Deutschland wird – auch aus berechtigtem Schuldgefühl angesichts der Shoah – das Judentum als homogene Gruppe verstanden, und diese Gruppe wird dann gewürdigt. Der Ansatz im Lichthof ist aber ein anderer: Er geht nicht von der deutschen Gesellschaft aus, sondern von Menschen, die sich in all ihrer Individualität als Juden verstehen. „Bei dem Festival geht es darum, aus jüdischer Perspektive die Schwerpunkte zu setzen“, meint Goldschmidt-Lechner. „Das ist eine ganz andere Angelegenheit, als wenn weiße, deutsche Menschen eine Veranstaltung planen, organisieren und die Schwerpunkte setzen.“
Klischees dürfen sein: Challa wird gebacken, Klezmer erklingt
Wobei so auch wieder Klischees im Programm auftauchen dürfen – in „Juden Juden Juden“ werden nicht nur jüdische Witze erzählt, es wird auch (unter tatkräftiger Mithilfe des Publikums) das traditionelle Zopfbrot Challa gebacken, und es erklingen Klezmer-Klänge. „Wenn jüdische Menschen das wollen, dann sollen sie das machen dürfen“, beschreibt Goldschmidt-Lechner den Komplex. „Wo es ein Problem wird, ist, wenn das von außen vorgeschrieben wird, wenn das die Erwartungshaltung ist.“ Was allerdings heißt: Auch eigene Klischeevorstellungen müssen immer wieder hinterfragt werden.
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Und nicht zuletzt befindet man sich hier eben im Theater, wo einem etwas vorgespielt wird. Darstellerin Alona Kolovalchuk erzählt herzzerreißend von ihrer Flucht aus Kiew, und dann fragt sie, ob einem die Geschichte gefallen habe. „Das ist doch so eine schöne Opfergeschichte!“ Es ist bequem, jüdisches Leben als Opfergeschichte zu verstehen, es ist aber nicht zielführend. Selbstbewusst grinst Kolovalchuk ins Publikum. „Ich bin Schauspielerin. Ich spiele alles, was man mir gibt!“
„Juden Juden Juden“ Premiere am 15.6., 19.30 Uhr, weitere Aufführungen am 18.6. um 18 Uhr und am 24.6. um 19.30 Uhr, Festival vom 15. bis 24.6., Programm, Infos und Tickets unter www.lichthof-theater.de