Hamburg. Louis Musin könnte es noch sehr weit bringen. Am 11. Juni tanzt er zum Auftakt der Hamburger Ballet-Tage den Romeo.
Die Probe dauert länger als geplant, ein Schluck Wasser und ein schneller Kostümwechsel müssen noch sein, dann ist Louis Musin bereit. Der junge Gruppentänzer des Hamburg Balletts John Neumeier ist im April gerade erst 21 Jahre alt geworden. Schon bei der Begrüßung wirkt er fokussiert, wach, leidenschaftlich.
Dieser Eindruck verbindet sich, denkt man an seine bisherigen Hamburger Bühnenauftritte, mit einem echten Ausnahmetalent. Nur so erklärt es sich wohl, dass in der Wiederaufnahme des frühen John-Neumeier-Balletts„Romeo und Julia“ am 11. Juni kein Erster Solist als Romeo auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper stehen wird, sondern Louis Musin.
Hamburger Ballett-Tage: Der neue Romeo ist erst 21 Jahre alt und gilt als Toptalent
„Es ist ein Traum“, sagt er und man spürt ganz viel positive Aufregung. „Ich habe es noch nicht wirklich begriffen.“ Bewusst will John Neumeier in der Wiederaufnahme einer jungen Generation die Bühne bereiten. Die Latte liegt dabei hoch. „Das ist sehr mutig. Aber seine Intendanz geht auf das Ende zu und da möchte er etwas ausprobieren. Für mich ist es eine Riesenchance. Ich muss körperlich und emotional in guter Verfassung sein, aber ich fühle mich sicher. Ich bin bereit“, sagt Louis Musin. Es ist die erste Hauptrolle für den jungen Tänzer überhaupt. Aber Musin stellt sich der Aufgabe mit reifer Professionalität. Und er bringt die denkbar besten Voraussetzungen mit.
Geboren im brasilianischen Belo Horizonte als Sohn eines belgischen Tänzers und Choreografen und einer brasilianischen Tänzerin, wuchs Musin mehr oder weniger im Theater auf. Die Familie zog bald ins schweizerische Genf, wo der Vater ihn an den Tanz heranführte, aber auch an Schauspiel, Gitarrenspiel – und reichlich Sport – von Eishockey bis Fußball. „Als ich jung war mochte ich vieles, und Tanz war nicht meine Leidenschaft“, räumt Louis Musin ein. Damals zog er „verrücktere“ Sachen vor. „Aber eines Tages erkannte ich, dass Ballett das ist, was ich machen möchte. Auch wenn ich wusste, dass ich mich dem Ballett ganz hingeben muss mit Kopf und Herz.“
Die Eltern haben ihn vor der Härte und Unerbittlichkeit des Berufsweges gewarnt
Die Eltern warnten vor der Härte und Unerbittlichkeit des Berufsweges – sie müssen es schließlich wissen, sein Vater Nicholas Musin hat jahrelang selbst im Hamburg Ballett getanzt. Seine Mutter Fernanda Diniz hat Louis Musin als Lehrerin wichtige Schritte beigebracht – was bei dem Jugendlichen nicht immer einfach war. Wenn er etwas schwer akzeptieren könne, sage und zeige er es auch, räumt Musin ein. Da sei er sehr transparent.
Er tanzte an drei Ballett-Schulen vor: In Monaco trat Louis Musin sogar mit gebrochenem Arm an – und bestand. Allein daran zeigt sich, wie ernst es ihm da bereits war. Er entschied sich aber für Hamburg. „Die Atmosphäre war schon in der ersten Begegnung anders als an den anderen Schulen. Die Schüler waren freundlicher im Umgang miteinander, tauschten sich mehr aus, da fühlte ich mich wohl“, sagt Louis Musin. In „Das Lied von der Erde“ sah er erstmals die Compagnie tanzen und wusste, dass er ein Teil davon werden wollte.
Seit 2021 ist Musin Gruppentänzer im Ensemble des Hamburg Balletts
Noch als Schüler stand er als jüngerer Aschenbach in „Tod in Venedig“ auf der Bühne und erlebte seine erste Zusammenarbeit mit John Neumeier. In seinem Jahr als Aspirant folgte in „Liliom“ die erste Rolle – als Louis. Seit 2021 ist Musin Gruppentänzer im Ensemble des Hamburg Balletts John Neumeier. Als solcher erarbeitete er auch mit dem Ballett-Chef seine erste eigene Kreation, den jungen Soldaten in „Dona Nobis Pacem“. In der Rolle tanzt er eher weniger, zeigt aber eine Präsenz auf der Bühne, die nicht zu übersehen ist. Reflektiert und ausdrucksstark.
„Ich liebe das Tanzen, also das Drehen und Springen, die Technik“, erklärt Louis Musin, „Aber das Größte ist, in eine Rolle zu gehen. Immer noch ich selbst zu sein, aber auch jemand anderer. Ich spiele nicht – ich bin der junge Soldat und fühle, was geschieht.“ Louis Musin hat das Zeug zum versierten Charaktertänzer.
Hamburger Ballett-Tage: Als er Julia trifft, entdeckt Romeo seine gefühlsbetonte Seite
Das kommt ihm auch bei „Romeo und Julia“ zugute. Zu Beginn ist sein Romeo ein wilder, unbändiger Kerl, der sich mit seinen Freunden Mercutio und Benvolio vergnügt und sich eher oberflächlich für Rosalinde interessiert. Doch dann trifft er Julia und empfindet etwas, das er zuvor nicht kannte, entdeckt seine gefühlsbetonte Seite.
Er selbst sei genauso wie dieser Romeo, gibt Louis Musin lachend zu. Da müsse er gar nicht so viel spielen. „Als er Julia trifft, wandelt sich alles. Als die Liebe ihn verändert, ändert sich auch seine ganze Welt. Er wird sensibler und ruhiger und würde alles für Julia tun.“ Tänzerisch bedeutet das, dass Louis Musin unter dem berühmten Balkon sogar einen Rückwärtssalto hinlegt.
Die Probe der Todesszene spart John Neumeier bis zuletzt auf
Die Liebesgeschichte der verfeindeten Familien Montague und Capulet geht bekanntlich nicht gut aus. Die Probe der Todesszene spart John Neumeier bis zuletzt auf. „Das ist sehr delikat. Es soll so real wie möglich sein“, berichtet Louis Musin. Gerade hat er sich eine alte Filmversion des italienischen Regisseurs Franco Zeffirelli aus dem Jahre 1968 angeschaut, die auch John Neumeier einst inspirierte.
- Hamburg Ballett: Was John Neumeier für seine letzte Spielzeit plant
- Elbphilharmonie: Überragender Ballettabend verzaubert Publikum und eine Prinzessin
- Hamburg Ballett: Dänischer Ballett-Star kommt zu John Neumeier
Der junge Tänzer saugt die Inspirationen nur so auf. Das betrifft nicht nur den Tanz, sondern auch die bildende Kunst, den Film – und gelegentlich Hip-Hop oder zeitgenössischen Tanz. Louis Musin könnte es in der Ballett-Disziplin noch sehr weit bringen.
Die Wiederaufnahme von „Romeo und Julia“ bildet den Auftakt der 48. Hamburger Ballett-Tage, die in der 50. Jubiläumssaison vier Wochen dauern werden. Zu sehen sind zahlreiche Neumeier-Klassiker von „Nussknacker“ bis „Nijinsky“, zwei Gastspiele des Tschechischen Nationalballetts mit „Endstation Sehnsucht“, außerdem Auftritte des Bundesjugendballetts und der Schule des Hamburg Balletts John Neumeier.
„Romeo und Julia“ Wiederaufnahme 11.6., 18 Uhr; 48. Hamburger Ballett-Tage 11.6. bis 9.7., Hamburgische Staatsoper, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de