Die Buchautorin Anna Mayr hatte als Kind wenig Geld. Jetzt hat sie mehr. Und deswegen ein schlechtes Gewissen.

Dies ist ein Bericht über die Ausgaben, die man als verpartnert in Berlin lebende noch junge Frau hat. Oder glaubt haben zu müssen. Denn Anna Mayr, 1993 im Ruhrgebiet geboren, dort aufgewachsen und seit einiger Zeit als „Zeit“-Journalistin in der Hauptstadt ansässig, hinterfragt die von ihr als Luxus wahrgenommenen Konsummanöver im Alltag. Sofa für 2000 Euro, muss das eigentlich echt sein? 16,85 Euro für ein Miniglas mit Trüffeln? „Geld spielt keine Rolle“ lautet der Titel ihres einigermaßen offenherzigen Buchs.

Es ist eine Stilkritik des Konsumlebens der Mittelschicht, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Geld – und dennoch vor allem auch ein Buch über den Reichtum der anderen. Warum Mayr lediglich mit schlechtem Gewissen nach den Möglichkeiten lebt, die bürgerlicher, relativer Wohlstand ihr bieten? Nun, das liegt an ihrer Herkunft.

Autorin Anna Mayr: Aufwachsen im Prekariat, danach sozialer Aufstieg

Geschrieben hat sie darüber in ihrem ersten Buch „Die Elenden“, es ging um ihr Aufwachsen als Kind zweier Langzeitarbeitsloser. Das prägt. Während die Anna Mayr der Gegenwart anhand der Anschaffungen, die sie tätigt, der Urlaube, die sie macht und der Veranstaltungen, die sie besucht, ihren sozialen Aufstieg dokumentiert, wird sie durchgehend von einer hartnäckigen Selbstzerknirschung geleitet. Hat sie sich ihren Lebensstandard wirklich erarbeitet? Darf das alles wirklich so sein?

„Wenn man Geld hat, muss man akzeptieren, dass andere leiden, während es einem selbst gut geht“, schreibt sie. Sie wolle ihr Leben nicht anders, habe lieber Geld als kein Geld; „aber ich mag den Menschen, zu dem ich mit Geld geworden bin, nicht besonders“. Interessante Sätze, zu denen einem zum Beispiel folgendes einfällt: Wenn Salonkommunisten genau wissen, dass sie Salonkommunisten sind, sind sie nie unsympathisch.

„Geld spielt keine Rolle“: Ein Buch über Vermögende und weniger Vermögende

Dennoch nimmt man ihr das Leiden an der eigenen Gutsituiertheit ab. Wie sollte eine wie sie, die Deklassierung am eigenen Leib erfahren hat, nicht denken, dass Geld in Gesellschaften wie der deutschen falsch verteilt ist? Obwohl es anstrengend sein muss, sich Genuss nur mit schlechtem Gewissen hingeben zu können. Es sind moralische Fragen, die sich Mayr stellt – und wie könnte man sie dafür kritisieren, dass es sie in einen Konflikt bringt, dass sie statt fünf, zehn Euro für ihren Rotwein ausgibt, wo anderen diese fünf Euro grundsätzlich fehlen?

Es gibt Forderungen wie „Tax me now“, mit denen manche Superreiche nichts anderes als ihr Wissen um die Obszönität von Besitz spiegeln. Wäre Anna Mayr stinkreich, sie wäre dort sicher dabei. So kann sie einstweilen als Gewährsfrau für jeden gelten, der zum Beispiel beim Spaziergang durch Blankenese philosophisch wird. Warum fehlt es, anscheinend, manchen leicht, Fairnesskonflikte komplett auszublenden?

Buch über Privilegien: Reichtum ist auch faszinierend

Dass Reichtum auch faszinierend ist? Eh klar. Mayr verknüpft die Geschichte ihrer Ausgaben – man kann sich bedauerlicherweise oder auch nicht bedauerlicherweise den Luxus erlauben, 250 Euro für die Heilung einer am Ende doch nicht verhaltensgestörten Hauskatze auszugeben – mit den Erzählungen derer, die noch viel, viel mehr ausgeben können. Auch Reiche haben Sorgen, und sei es die, dass sich ihr Reichtum nicht mehrt. Als junge Frau, die zwar überdurchschnittlich verdient, der aber die Ungnade der zu späten Geburt zuteil wird, repräsentiert sie eine nicht kleine Gesellschaftsgruppe.

Der reiche Immobilienbesitzer, der im Gespräch mit Mayr im Bonzen-Verteidigungsmodus darauf verweist, dass seinen Erfolg jeder hätte haben können, indem er auf dem Wohnungsmarkt aktiv wird, kann bei ihr nur eine insgeheim trotzige Reaktion hervorrufen. Der Mann ist Jahrzehnte älter als sie, er kaufte Wohnungen, als sie noch bezahlbar waren. Jetzt ist er reich, weil Immobilien knapp und teuer sind.

Autorin Anna Mayr: Blick auf die Erbengeneration

„Geld spielt keine Rolle“ ist deshalb eine wohltuende Lektüre, weil die Glaubwürdigkeit der Autorin gerade durch den selbstironischen Touch ihrer Beobachtungen untermauert wird. Hier schreibt eine, die bei den Etablierten angekommen ist – und natürlich alle Effekte, die das mit sich bringt, nicht mehr missen möchte. Aber das soziale Gewissen in ihr und die Loyalität zu ihrer Herkunftswelt führen doch dazu, dass sich ein Teil von Anna Mayr tatsächlich lieber selbst enteignen will, als gedankenlos das Konsumleben einer Begüterten zu leben.

Wer eine finanziell sorglosere Kindheit als Mayr hatte, kann sich dennoch in ihren Ausführungen wiedererkennen. Und wer nicht das Glück hat zu erben, ebenso. „Wer weiß, dass er eines Tages eine Immobilie mit einem gewissen Wert besitzen wird, der lebt risikoreicher“, schreibt sie einmal. Gut beobachtet.