Hamburg. Der Regie-Star sprach im proppevollen Literaturhaus über seine Arbeit, Telepathie, Heinz Strunk und seinen Mentor Hark Bohm.
Claudia Schumacher machte gleich zu Beginn der Veranstaltung kein Geheimnis aus ihrer Bewunderung für den Gast. Das Gute ist: Niemand hielt das für Ranschmeiße, denn Fatih Akin ist tatsächlich ein vielbewunderter Regisseur. Im Literaturhaus, in das die Journalistin und Autorin Schumacher („Liebe ist gewaltig“) den 49-Jährigen zur zweiten Runde ihrer noch frischen Interview-Reihe „Schumacher trifft...“ geladen hatte, genoss Akin außerdem Heimvorteil. Der Mann ist bekanntlich Hamburger.
Und sicher der einzige Sohn dieser Stadt, dem Hollywood-Großmeister Martin Scorsese bemerkenswerte Worte wie diese widmete: „Fatih Akins Filme brennen vor Leidenschaft und pulsieren vor Freiheit, und er projiziert dieselbe schöne Energie, wann immer er über das Kino spricht - über seine eigenen Filme, die von anderen, von überall auf der Welt, aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er ist ein eloquenter Bannerträger der Kunstform, und er liebt sie leidenschaftlich.“ Schumacher zitierte die Sätze in voller Pracht und garnierte sie mit eigenen („Ich bin ein Riesenfan seit Jugendtagen“).
Fatih Akin: Kritische Fragen musste er nicht fürchten
Man konnte das fraglos auch als Strategie bezeichnen. Mit freundlichen Worten sind doch die Vibes immer gleich ziemlich gut, und im sehr vollen Literaturhaus entwickelte sich dann auch ein Gespräch, in dem der allerfreundlichst empfangene Regie-Star, weil er kritische Fragen nicht fürchten musste, offenherzig über seine Filme sprach, über Literatur und das, was beide Disziplinen trennt respektive eint.
Drei Filme hat er gemacht, die auf Buchvorlagen basieren. Den Coming-of-age-Film „Tschick“ nach Wolfgang Herrndorfs Roman. Das Gangsterdrama „Rheingold“ (am Mittwoch wurde bekannt, dass dieses jetzt eine Million Besucherinnen und Besucher im Kino gesehen haben – auch dafür gab’s Applaus am Schwanenwik) nach Xatars autobiografischem Buch „Alles oder nix“. Und „Der goldene Handschuh“ nach Heinz Strunks Bestseller.
„Der Goldene Handschuh“: handwerklich sein bester Film
Strunk und er, berichtete Akin, hätten sich „längst gekannt“, als das Thema Romanverfilmung aufgekommen sei. Strunk habe irgendwann zu ihm gesagt: „Jetzt gehst du halt einmal im Goldenen Handschuh mit mir saufen, und dann sagst du mir, ob du es machst.“ Und so sei es dann geschehen, Ende bekannt: Es gibt den Film. Und der ist nach Akins Urteil sein handwerklich bester.
Der Ottenser erzählte mehrmals vom allgemeinen Produktionsstress und dem spezifischen Zeitproblem etwa bei seinem jüngsten Film. Überhaupt mäkelte er mit Hingabe an „Rheingold“ herum und lobte dann lieber das Werk anderer, nämlich der Kolleginnen und Kollegen aus der Literatur. „Was ihr macht, ist Telepathie“, rief er beinah enthusiastisch der Gastgeberin Schumacher zu und adressierte sie da als Romanautorin. Also: Gedanken, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurden (Akin liest gerade erstmals Balzac) und nun in der Gegenwart von den Lesenden aufgenommen werden – für Fatih Akin ist das quasi ein magischer Transfer. Und eigentlich hilfreich, dass er darauf explizit hinwies, Literatur ist ja wirklich etwas Tolles.
Manchmal muss Akin Romanfans enttäuschen
Wobei man ihn fast daran erinnern wollte, dass Filme – man denke an die schwarzweiße, stumme Wiegenzeit des Kinos, aber etwa auch an das große amerikanische Regie-Kino der Siebziger – ja haargenau selbes leisten. Nur halt mit Bildern.
Akin hatte einen Ordner mitgebracht, um seine Arbeitsweise zu illustrieren. Louis de Bernieres’ Türkei-Roman „Traum aus Stein und Federn“, ein Langzeitprojekt, auf DIN-A4-Seiten, textgemarkert, mit Notizen versehen („Voiceover“, „Ausstattung“ etc.) – so sieht es aus, wenn Akin Romane und Drehbücher „übersetzt“, wie er das nennt, „ich filetiere den Romantext“. Er weiß, dass er manchmal die Romanfans enttäuschen muss, weil Bildsprache anders funktioniert und notwendigerweise rafft, „aber ein Buch ist ein Buch, ein Film ist ein Film, god damn it“:
Fatih Akin: Derzeit arbeitet er an Hark Bohms „Amrum“-Stoff
Schumacher, die erfahrene Interviewerin, hub vorsichtig an, um auf das nicht von der Hand zu weisende Problem zu sprechen zu kommen, ob einer wie Akin eigentlich in seinem Team noch kritisiert werde. Klar, sagt der mit Blick auf seine Casting-Direktorin und Ehefrau Monique Akin (anwesend) sowie Regisseur Hark Bohm und Produzent Herman Weil (ebenfalls anwesend, zu seiner Rechten im Publikum sitzend, Akin: „Wie die Alten in der Muppet-Show“): Für Widerspruch sei reichlich gesorgt.
Mit Bohm und Weil hat Akin („Ich schimpfe bei meiner Frau viel auf den deutschen Film, guck mal, wie furchtbar, die Szene!“) zusammengearbeitet, tut es derzeit wieder. Akin wird Bohms biografischen „Amrum“-Stoff verfilmen. Erneut kein Originalstoff aus seiner Feder wie „Aus dem Nichts“? Er sei nicht wie Allen oder Almodóvar ständig von der Muse geküsst, erklärte Akin. Stoffe von ihm selbst seien „Pickel, die ich irgendwann ausdrücken muss“, sagte er. Seine Haut sei jetzt glatter als früher. Interessante Metaphorik, die Leute lachten jedenfalls.