Eine Kölnerin legt ein Buch vor, das an der Elbe spielt. Und stellt es genau dort vor. Im Publikum: Lokalpatrioten. Konnte das gut gehen?

Beim Titel bloß nicht zu kompliziert sein, werden sich alle Beteiligten gedacht haben. Deswegen heißt der Roman „Blankenese“. Na ja, einen etwas umständlichen Untertitel gibt es auch, „Zwei Familien: Licht und Schatten“. Geschrieben hat ihn eine Frau, die nicht aus Hamburg kommt und sich mit der ungehobenen Literatur bestens auskennt, also sehr ordentliche Schmöker für Unterhaltung Suchende verfasst. Michaela Grünig nämlich,

Autorin von Romanen wie „Wie ich Brad Pitt entführte“ und von der Hotel-Saga „Palais Heiligendamm“; jetzt nahm sie sich Hamburgs nobelsten Stadtteil vor. Ihr Stoff ist ein klarer Fall für Lokalpatrioten und Hobbyhistoriker: Angesiedelt in den 1920er-Jahren, erzählt er die Lovestory von John Casparius, dem Reedereierben von der Elbchaussee (beste Sozialfigur überhaupt!), und Leni Hansen, der Arbeiterin aus dem Treppenviertel.

Ein Blankenese als fast proletarischer Ort, ohne Villen

Aber ja, das war, ganz früher mal, ein beinah proletarischer Ort, ohne Villen, aber mit demselben Elbblick. Und die Buchhandlung Heymann war am Mittwochabend ein guter Ort, um die Sogwirkung des Genres „Historischer Roman“ zu besichtigen. Interessiert nahm man zur Kenntnis, dass in der Bestsellerecke neben Juli Zeh und Dörte Hansen ein Roman namens „Elbstürme“ lag, konzentrierte sich dann aber auf den Vortrag der Autorin Grünig.

Die punktete sofort, weil sie althergebrachte Weisheiten („Mehr als Blankeneser kann ein Hamburger nicht werden“) kennt und auch angemessen vom Elbvorort schwärmen kann. Als Zugezogener wird man übrigens nie aufhören, sich zu fragen, wie viel Selbstironie beim Blankeneser Standesdünkel tatsächlich zu finden ist.

Blankenese als gutverdauliche Entertainmentprosa

Die Lesung Grünigs – ihr Roman ist ein farbenfrohes Porträt des alten Blankenese in der ersten Nachkriegszeit, da gab es manches Elend, auch da, wo heute fast nur noch Reichtum ist – mochte all die angefixt haben, die auf herkömmliche, gut verdauliche Entertainmentprosa („Ein goldener Schimmer kündigte den neuen Tag an“) stehen, vor allem aber Gegenwart mit Vergangenheit unterfüttern wollen.

Moderatorin Anouk Schollähn offenbarte lässliche Momente der Unkenntnis („Darf man heute in der Elbe eigentlich noch schwimmen?“), aber das Publikum tuschelte informiert, als der hinzugezogene Lokalhistoriker Dr. Jan Kurz vom Förderkreis Historisches Blankenese, der der Autorin Grünig bei der Recherche zur Seite stand, zu seinen Erläuterungen ausholte. Und etwa mitteilte, dass Blankenese in genau dem Jahr 1919, in dem die Handlung einsetzt, um die Gemeinde Dockenhuden erweitert wurde.

Max Warburg als historisches Vorbild

Die realen Entsprechungen für im Roman auftauchende Figuren sind Banker wie Max Warburg, und auch über das mögliche historische Vorbild für den im geplanten zweiten Band auftauchenden Arzt (herrlich!) war das Publikum schon im Bilde, bevor die Michaela Grünig dessen Namen aussprach. Kurzer Dialog zwischen Moderatorin Schollähn und zwei Blankenese-Kennern im Publikum: „Is‘ noch was?“ – „Nee, alles gut.“ Puh, man sah seinen Stadtteil also keinesfalls bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Das dürfte auch die Autorin („Ich lege Wert darauf, dass meine Bücher authentisch sind“) gefreut haben. Deren Interesse am Schicksal der jüdischen Hamburger und an den sozialen Lebensumständen zwischen den beiden Weltkriegen teilte sich den Zuhörerinnen und Zuhörern fraglos mit. Grünigs Roman ist, so leicht er im Ton sein mag, auch ein bleischwerer Hinweis darauf, dass Kriege zu allen Zeiten auch vor den Reichen nicht Halt machen.

Am Ende gab es Schnittchen. So muss das sein bei Buchhandlungslesungen. Und diejenigen, die am Anfang der Veranstaltung noch in ihren Jacken auf den Stühlen gesessen hatten, hatten sich da dieser längst entledigt. Nachkriegselend hin oder her, literarisch wärmt Blankenese halt.