Hamburg. Die Bestsellerautorin stellte in Winterhude ihren neuen Roman „Zur See“ vor. Rappelvoll war’s, und die Ultras bekamen, was sie wollten.
Das mit dem Signierstürmen nach vorne, in diesem schwergängigem Saal mit den wenigen Wegen, hatte sich angekündigt. Das Magazin-Filmkunsttheater, wie das Programmkino in Winterhude so schön hochtrabend heißt, platzte ja aus allen Nähten. Es war rappelvoll, restlos ausverkauft. Weil Dörte Hansen da war, die norddeutsche Autorin mit Hang zu bei Kritik und Publikum gleichermaßen immens beliebten Romanen.
Draußen gab es kurz vor Veranstaltungsbeginn noch ein paar Unentwegte, die ohne Karte gekommen waren. Drinnen lagen Jacken auf den wenigen freigehaltenen Plätzen; vielleicht war die Gattin noch auf der Toilette oder der Gatte beim Getränkeholen. Es ging ja heute um eine Insel, Hansens neuer Roman heißt „Zur See“. Da durften Jacken durchaus wie Handtücher sein. Ob Dörte-Hansen-Ultras gerne auf Malle urlauben? Glauben wir nicht. Wir tippen stark auf Sylt oder Norderney.
Dörte Hansen: „Hamburg ist wie ein Nachhausekommen“
Dort zieht es, von der Richtung her, die Autorin selbst am liebsten hin, wie sie dem Publikum erzählte, auf „schroffe, kalte Inseln“ also anstatt auf „warme, liebliche“. Mit schwarzer Hornbrille trat sie auf, die Exhamburgerin aus Husum, die dem eigenen Bekunden nach vom Naturell her nicht fürs Lesen vor vielen Menschen gemacht ist. Aber, erklärte sie, „man wächst in die Rolle der Bestsellerautorin hinein“.
Was in ihrem Fall heißt: Soziopathische Züge, die in der Schreibklausur entstehen könnten, entstehen eben doch nicht. Der Schock, so Hansen, beim Tritt ins Rampenlicht wird kleiner. Und auf Nachfrage von Rainer Moritz, der diesen aushäusigen Literaturhaus-Abend moderierte, umgarnte sie dann auch gleich das ihr aber ohnehin treu ergebene Publikum: „Hamburg geht immer sehr gut, das ist wie ein Nachhausekommen.“
Dörte Hansen entzaubert den Mythos vom Insulaner
Moritz, der in der Anmoderation „investigative Fragen“ versprochen hatte, erkundigte sich, ganz sinnenfreudiger Schwabe, nach dem eventuell realen Vorbild für das hochprozentige „Nordseebrot“, das einer von Hansens Romanhelden sich morgens beim Bäcker besorgt, um früh seinen Pegel zu erreichen. Da musste Hansen Moritz freilich enttäuschen, gefunden habe sie lediglich den Hinweis darauf, dass man aus altem Brot Schnaps gewinnen könnte.
Sie habe, erklärte Hansen überdies, grundsätzlich alle Mythen hinterfragen wollen, die über Inseln in Umlauf seien. „Man macht sich einen Reim auf alles, indem man Mythen erzählt“, sagte Hansen, „aber ich glaube nicht einmal, dass die Geschichte vom Insulaner, den es immer irgendwie auf die Insel zurückzieht, mehr als ein Mythos ist“.
Dörte Hansen lässt das Magazin-Kino zur Wellness-Insel werden
Für die vielen, vielen Besucherinnen und im Publikum eher verstreuten Besucher der Veranstaltung waren die Passagen, die Hansen aus „Zur See“ las, auch eine Art Wellness. Manch eine folgte der Lesung mit geschlossenen Augen und in purer Entspannungshaltung, als wäre das Kino selbst eine Insel.
Dass Hansens elegante Prosa, dass ihre Geschichten der fiktiven Familie Sander sich gut zum öffentlichen Vortrag eignen, wurde jedenfalls hinlänglich bewiesen. Hansen führte ihre literarischen Heldinnen und Helden bei der Winterhuder Lesung gleichsam aus und unter Leute – denen, die ihr zuhörten und den Roman noch nicht kannten, könnten Hanne, Ryckmer, Eske und alle anderen tatsächlich allein durch die Lesung schon ans Herz gewachsen sein.
Über die Tourismus-kritischen Passagen wurde am meisten gelacht
Hansens Menschenkenntnis ist enorm, und wie sich trockener Humor und Melancholie auch diesmal die Waage halten, verrät sehr leicht ihr schreiberisches Können. Dass sich Leute erklärtermaßen – die Autorin scheint viele Mails von Leserinnen zu erhalten und diese auch zu lesen – mit Hansens Romanfiguren identifizieren können oder real existierende Menschen in jenen wiederzuerkennen glauben, erzählte Hansen einmal mehr. Das muss man dann wohl entweder einen Triumph ihres Erzählrealismus nennen oder einfach Empathie.
An einem perfekt getuneten Literaturabend rauschten Moritz und Hansen gekonnt durch ein Buch, das doch eigentlich wie Inseln der Entschleunigung dient und noch reichhaltiger ist, als in 90 Minuten dargestellt werden kann. Über die Tourismus-kritischen Passagen wurde am meisten gelacht. Die, die gemeint sind, erkennen sich nie selbst, sagte Rainer Moritz dazu richtigerweise. Und heimste dafür wiederum einige Lacher ein, während Dörte Hansen sich dabei vielleicht heimlich gratulierte. Sie hat es geschafft, ein Buch zu schreiben, das gerade von denen gelesen werden wird, die von ihm milde verspottet werden.
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Wie gesagt, zum Signieren stellten sich hernach viele an, während die anderen hinaus in den späten Abend strömten, wahrscheinlich mit dem dumpfen Gefühl, dass es bald mal wieder Zeit ist, ein Schiff zu besteigen.