Hamburg. Ein Selfie und eine Kurzkritik: Abendblatt-Redakteure haben sich zum Welttag des Buches eine besondere Aktion einfallen lassen.
Heute ist Welttag des Buches – nach dem Willen der Unesco, die diesen Termin vor 20 Jahren ausrief, ein Feiertag des Lesens. Was wäre naheliegender, als sich aus diesem Anlass an die eigene Lieblingslektüre zu erinnern? Auf dieser „Selfie“-Seite stellen die Abendblatt-Reporter ihre Favoriten vor, die nicht selten zu Lebensbüchern geworden sind.
Camilla John, Lokales: Der „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini ist ein Buch, das ich unentwegt weiter empfehle, wann immer mich jemand fragt, ob ich nicht ein fesselndes Buch hätte. Ich las es kurz nach Abschluss meines Studiums 2004 – in einer Phase, in der viele Entscheidungen anstanden. Im „Drachenläufer“ formuliert Hosseini kluge Gedanken über Freundschaft, Loyalität und Schicksal. Hat mich beeindruckt, besonders, da ich die Emotionalität in der Männerwelt dieses Romans nicht erwartet hatte. Außerdem bekam ich einen Blick auf das zunächst unzerstörte, stolze und wohlhabende Afghanistan, das ich bis dahin so nur aus Erzählungen meines Vaters kannte, der als Student in den 70er-Jahren dort kletterte.
Lutz Wendler, Stormarn: Der Roman „Pnin“ sollte für Nabokov eine sonnige Flucht vor dem Zauberbann von „Lolita“ sein. Die Story des russischen Professors in den USA, der „Lost in Translation“ und auch sonst eine Lachnummer ist, hat die Pointe, dass der Verlierer als moralisch integrer Held triumphiert. Das hat mich 1983 überrascht, begeistert – und beschämt.
Alexandra Bülow, Service-Journale: Selten hat mich ein Buch derart unterhalten und gleichzeitig tief berührt wie John Nivens „Gott bewahre“. So etwas mag ich! Es ist komisch, fordert aber auch, sich selbst zu prüfen und eine Haltung zu haben – und diese zu vertreten. Niven zeigt, was Nächstenliebe bedeutet und was nicht. Oder wie Gott es im Buch formuliert: Seid lieb!
Christoph Rybarczyk, Stv. Ressortleiter Online: Heinrich Manns „Untertan“ Diederich Heßling ist die böse Fratze im Reich Wilhelms II. Nach oben buckeln, nach unten treten – solche Typen begegnen uns heute noch. Der preußische Proto-Nazi hat aber auch sentimentale Züge und steht auf Sado-Maso. Es war nicht alles schlecht im Kaiserreich. Mich fesselt das Buch mindestens einmal im Jahr.
Joachim Mischke, Kultur: Ernest Hemingway, Gesammelte Werke in zehn Bänden – was sonst. Hemingway muss man als Teenager entdecken, dann kann man ihn sofort toll finden. Weil bei ihm alles so klar ist, aber längst nicht alles einfach. Eine Schreibe, die knallt. Sein Leben war auch nicht ohne. Das ewig passende Zitat: „Verwechsle niemals Bewegung mit Handeln.“
Katja Engler, Kultur: Die Erinnerung an meine Lesesucht mit 16, 30 und 40 ist taufrisch: Die Bücher von Émile Zola, „Germinal“, „Le Ventre de Paris“ oder die durchtriebene „Nana“ lese ich im Original! Die Schinderei, Vokabeln nachzusehen, nehme ich in Kauf, allein, um den Klang, die Musik, die Nuancen in Zolas Sprache aufnehmen zu können. Grandiose, zeitlose Sittengemälde!
Holger True, Kultur „Ich fühlte mich frei, also war ich frei.“ Als ich „Gammler, Zen und hohe Berge“ von Jack Kerouac mit 18 das erste Mal las, habe ich diesen Satz unterstrichen. So sollte mein Leben sein, so frei wie das der umherreisenden Helden in diesem Roman. Alle paar Jahre lese ich ihn wieder. Auch um mich daran zu erinnern: Es gibt ein Leben jenseits der Routine.
Frank Schulze, Norderstedt: Schon der Titel klang einfach super: „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten“. Ich war 19, als ich im Sommer 1981 an die Algarve trampte und den Roman von Robert M. Pirsig im Gepäck hatte. Vor Kurzem nahm ich das vergilbte Taschenbuch mal wieder zur Hand. Ich habe es wieder zur Seite gelegt – die Schrift war mir einfach zu klein.
Armgard Seegers, Kultur: „Anna Karenina“, da ist alles drin: Liebe, Leidenschaft, zerbrechende Beziehungen, die Frage, wie man sein Leben zum Guten wenden kann. Tolstoi beschreibt die russische Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts, er zeigt realistisch, was sie zusammenhält. Man taucht vollständig ein und lebt mit diesen Menschen. Unübertroffen!
Oliver Schirg, Lokales: Letztlich habe ich zwei Jahre benötigt, um die vierbändigen „Jahrestage“ zu lesen. Manchmal brauchte ich Abstand, um die Gedanken, die das Werk Johnsons in mir auslöste, sich „setzen“ zu lassen. Wie „modern“ dieses Buch geschrieben ist – die Wortgewalt, die Dichte. Am Ende las ich immer langsamer, weil ich nicht wollte, dass es zu Ende ging.
Maike Schiller, Kultur: Nur ein Buch auszusuchen? Un! mög! lich! Buddenbrooks? Anna Karenina? Effi Briest? Waren und sind mir Herzensbücher. Eine ganze Buchreihe allerdings hat mein Leben besonders geprägt, weil es die Literatur um die Dimension Bühne erweitert: meine gelben Reclam-Hefte. Schiller, Goethe, Tschechow. Zerfleddert, vollgekritzelt, auswendig gelernt.
Matthias Schmoock, Lokales: Mit Autoren wie Kafka und Storm konnte ich als 17-Jähriger im Unterricht nichts anfangen. Roths Novelle „April – Geschichte einer Liebe“ war es dann, die mich total packte und meine Liebe zur Literatur mitprägte. 1981 kaufte ich mir die damals brandneue Roth-Monografie von Helmut Nürnberger – das erste Buch mit Fußnoten, das ich las.
Matthias Iken, Chefredaktion: Ein gutes Buch raubt uns den Schlaf, bewegt uns. Cormac McCarthys „Die Straße“ habe ich gelesen, als an Schlaf ohnehin nicht zu denken war, weil unser Sohn wenige Monate alt war. Das Buch beschreibt die Welt nach einer Katastrophe, durch die Vater und Sohn irren. „Die Straße“ ist schrecklich, schrecklich schön; es ist todtraurig und dann fast lyrisch.
Heiner Schmidt, Politik: Ja, es ist morbide, aber die Mordserie der Hippiesekte um ihren teuflischen Anführer Charles Manson beschäftigt und gruselt mich, seitdem ich acht bin. Ed Sanders’ Standardwerk „The Family“ entdeckte ich vor mehr als 30 Jahren in einem dieser Restposten-Buchläden in Uninähe, seitdem lese ich es im Abstand von drei bis fünf Jahren.
Lars Haider, Chefredakteur: Nichts geht über Hercule Poirot! Eine der faszinierendsten Figuren der Literaturgeschichte, ich liebe diese Detektiv gewordene Mischung aus Überheblich- und (scheinbarer) Trotteligkeit, Genialität und Phlegma. Nicht nur deshalb ist Agatha Christie meine Lieblingsautorin und „Mord im Orientexpress“ ein Buch, das ich immer wieder lesen kann.
Miriam Opresnik, Wirtschaft: Es gehört nicht zur Weltliteratur, taucht auf keiner Bestsellerliste auf. Trotzdem hat mich Judy Blumes „Sommerschwestern“ mehr berührt als jedes Buch von Kafka oder Brecht. Ein Buch wie die erste Liebe, das ich immer wieder lese. Das letzte Mal im Krankenhaus, das erste im Sommerurlaub. Sandkörner stecken noch zwischen den Seiten.
Tino Lange, Kultur: Ich weiß nicht mehr, warum mir meine Oma 1987 Lothar-Günther Buchheims Kriegsroman „Das Boot“ geschenkt hat, vielleicht weil Opa in der Marine war. Jedenfalls war ich mit elf Jahren definitiv zu jung für diese beklemmende und aufwühlende Feindfahrt von U96. Ich habe sie damals trotzdem gelesen, bis heute sicher ein Dutzend Mal.
Heinrich Oehmsen, Kultur: Über ein Gedicht von Johannes Bobrowski entdeckt, begleitet mich das Werk Hans Henny Jahnns seit der Oberschule. Am Anfang stand der Seefahrerroman „Das Holzschiff“ – der Einstieg in die faszinierende Trilogie „Fluss ohne Ufer“ und in das Gesamtwerk dieses immer noch eher unbekannten Hamburger Universalgenies.
Anne Dewitz, Pinneberg: Ich mopste mir „Shantaram“ von Gregory Roberts aus einer Strandbar auf der thailändischen Insel Ko Phangan. Andere Rucksackreisende hatten das Buch da liegen lassen. Einen Monat zuvor hatte ich selbst noch im Café Leopold im Stadtteil Colaba gesessen, in dem sich der Romanheld Lindsay gern mit Freunden trifft. Der 1088-Seiten-Schinken – eigentlich zu dick und zu schwer für den Rucksack – begleitete mich in den kommenden Wochen auf meiner Weltreise. Ich musste ihn einmal kurz weglegen, als Lindsays treuer Freund Prabaker unvermittelt starb – schließlich sollte mich im Bus niemand weinen sehen.
Yvonne Weiß, Chefreporterin: Ach, Effi Briest! Wärst du nur auf deiner Schaukel weiter durch die Lüfte geflogen, anstatt den steifen Innstetten zu heiraten. Menschen wie ihn, die das „uns tyrannisierende Gesellschafts-Etwas“ höher hängen als die Liebe, bemitleide ich bis heute. Und gibt es zu viele gegenteilige Argumente zu einem Thema, zitiere ich gerne Fontane: „Es ist ein weites Feld.“