Hamburg. Ein Dokumentarfilm begibt sich auf die Suche nach Mahlers Spuren in Hamburg. Premiere ist am 3. September im Abaton.
Als sich Gustav Mahler bei einem Fachhändler an der Fleetinsel einen Drahtesel neuester Bauart zulegte, hat das gute Stück 340 Mark gekostet, und es war entweder ein Modell „Pyramidal 41135“ oder aber eines von Seidl + Naumann. Mit den Wonnen der Fortbewegung per „Velociped“ hat ihn ein befreundeter Musikkritiker aus der Nachbarschaft in Berührung gebracht. Und das nicht originalgetreue Rad, das in der Mahler-Abteilung des Komponistenquartiers an dessen Radel-Eifer erinnert, kommt aus Brighton.
Die etwa 104 Filmminuten um diese Szenen herum halten ganz genau und sehr, sehr gründlich, was ihr Titel „Auf Mahlers Spuren in Hamburg“ verspricht. Keine Wohnung, keine auch nur halbwegs wichtige Berufs- oder Feierabendbekanntschaft bleibt unerwähnt. Nur ausgesprochen detailpflichtschuldige Bewunderer von Leben und Werk können sich so etwas zurechtüberlegen und dann durchziehen; der Eifer, mit dem aus dem Liebhaberprojekt eine abendfüllende Dokumentation wurde, ist in seiner Konsequenz durchaus bewundernswert.
Mahler-Dokumentation: „Mahler vereint alle“
Etwa sechs Jahre, eine ebenso prägende, schöne wie auch nervensägende Phase seines Lebens, verbrachte der Komponist Gustav Mahler als junger, steil aufstrebender Kapellmeister in Hamburg, als Kapellmeister am damaligen Stadttheater, dem Vorgängerhaus der Staatsoper. Er hat zwischen 1891 und 1897 unglaublich viel gearbeitet und rund 650 Vorstellungen dirigiert, bevor er ins Salzkammergut an den Attersee fuhr und dort während der Sommerferien an seinen eigenen Sinfonien feilte. Er hat sich währenddessen, davor und danach mit vielen Menschen angelegt, hat einige Freunde fürs weitere Leben gefunden und sich dennoch flott (und frisch katholisch getauft) von der Elbe nach Wien verabschiedet, sobald sich die nächste Karriereleiter-Stufe – der prestigeträchtige Chefposten an der Wiener Hofoper – am Horizont abzeichnete.
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Dass Hamburg deswegen und seitdem eine veritable Mahler-Stadt geworden sei, wie es der greise Musikwissenschaftler und Mahler-Experte Constantin Floros in den Schlusstakten dieser penibel zusammengetragenen Dokumentation weise postuliert, darf, bei aller Liebe für das Leitmotiv, mit einem Fragezeichen versehen werden. Denn wie für einige große Komponisten aus der reichen Musikgeschichte der Stadt muss man auch für Mahler schon ein angemessen großes Denkmal oder ein eigenes Festival vergeblich suchen. Rein gar nichts an oder in der Elbphilharmonie erinnert an ihn, im Gegensatz zu diversen Brahms-Manifestationen in und vor der Laeiszhalle.
Mahler-Dokumentation: Die Musik selbst spielt eher eine Statistenrolle
Was es 126 Jahre nach Mahlers Abschied herauszufinden gab und noch zu sehen gibt, hat Albrecht Schultze als Mitglied der hiesigen, umtriebigen Gustav Mahler Vereinigung in sehr liebevoller und sehr kleinteiliger Kleinarbeit über den Zeitraum von 2019 bis 2023 zusammengetragen und an allen Adressen, die Mahlers Lebensweg auch nur kurz gestreift haben könnte, mit gleichgesinnten Mahlerianern abgefilmt. Die berichten begeistert in die Kamera von Mahlers Tonkünstler-Alltag als Zugereister, mal mit gut sichtbarem Spickzettel, mal ohne. Aber immer getrieben vom musikhistorischen Bildungsauftrag und viel liebenswerter Fan-Begeisterung. Doch auch so prominente Mahler-Praktiker wie Generalmusikdirektor John Neumeier („Mahler vereint alle“) oder Generalmusikdirektor Kent Nagano kommen zu Wort.
Klingt leicht nach eifrig verfilmtem Wikipedia-Eintrag? So wirkt es stellenweise auch. Briefe werden zitiert, viele Namen von längst vergessenen Sängerinnen und Sängern aufgezählt, während die Kamera beschaulich über Häuserfassaden oder Straßenansichten schwenkt, oder historisches Bildmaterial. Schultze meint es sehr gut mit dieser Aufarbeitung. Die Musik selbst allerdings, ihre Besonderheiten, ihre Entstehung, ihre visionäre Kraft, gespiegelt in ihrer Zeit – all das spielt in diesem erschöpfend ausführlichen Film eher eine Statistenrolle. Angesichts der enormen Ausmaße und Anforderungen von Mahlers Sinfonien, die schon zu dessen Lebzeiten einige Kostenrahmen sprengten, ist das verzeihlich und verständlich.
„Auf Mahlers Spuren in Hamburg“ hat am 3.9. (17 Uhr) Premiere im Abaton, Regisseur Albrecht Schultze und Editor Johannes Schmidt sind dabei zu Gast. Infos zur Mahler Vereinigung: www.gmvh.de.