Ein Film über Gustav Mahlers 2. Sinfonie erinnert an den ehrgeizigen Komponisten, für den die Hamburger Jahre prägend waren.
Hamburg. "Wenn das noch Musik ist, dann verstehe ich überhaupt nichts von Musik", soll der berühmte Dirigent Hans von Bülow verwirrt gerufen haben, als alles überstanden war. Gustav Mahler hatte ihm am Klavier vorgespielt, wie er sich den Beginn seiner 2. Sinfonie gedacht hatte. Der Frust über das Unverständnis seines Idols saß tief bei Mahler, doch er gab nicht auf. Er gab so gut wie nie auf. Genau das war ja sein Problem. Unverständnis von Zeitgenossen sollte ihn ein Leben lang begleiten, und ganze sechs Jahre sollte es von den ersten Entwürfen bis zur Vollendung dieses monumentalen Stücks dauern. Am Ende war ein radikal neuer Kosmos geschaffen, ein Solitär, der den Rahmen der Konventionen trotzig sprengte.
Die entscheidende Inspiration dafür erhielt der junge, brennend ehrgeizige Kapellmeister des Hamburger Stadttheaters ausgerechnet beim feierlichen Trauergottesdienst für Bülow im Michel im Frühjahr 1894. Inspiriert durch den Klopstock-Text eines Chorals schrieb Mahler den großen Schlusssatz seiner Zweiten, die den Beinamen "Auferstehungssinfonie" erhielt und zu den bleibenden Werken der sechs Hamburger Jahre Mahlers zählt, bevor er an die Wiener Staatsoper ging, um auf der Karriereleiter weitere Schritte nach oben zu machen.
Bei der Verfilmung dieses Stücks, die heute im Rahmen der Mahler-Jubiläumsreihe im Abaton-Kino zu sehen ist, war der New Yorker Musik-Dokumentarfilmer Jason Starr nur unwesentlich schneller als das Subjekt seiner Studie. Es dauerte fünf Jahre, um die Mischung aus Analyse, Spielszenen und Konzertmitschnitt zu vollenden. Nur dank der Finanzhilfen einer wohlwollenden Stiftung konnte er seinen Plan in die Tat umsetzen.
Dem universalen Anspruch Mahlers folgend, werden die ewigen Großthemen verhandelt: Liebe, Tod und das Danach. Darunter machte Mahler es schon bei diesem Frühwerk nicht. "Er glaubte, dass eine Sinfonie eine ganze Welt ausdrücken sollte", sagt Starr.
Starr folgt der fünfteiligen Struktur des Stücks, indem er Erklärungen und Konzertszenen kombiniert. Man erfährt, was man hören soll, man weiß sofort, worum es geht. So gesehen, ist es auch konsequent, dass Starr die Gestalt Mahlers nur von hinten zeigt. Man möge sich kein Bild vom Schöpfer machen, sagt das. "Ich wollte den Zuschauer nicht unnötig vom Inhalt des Films ablenken."
Lokalpatriotische Mahlerianer müssen allerdings tapfer sein, denn abgesehen vom Mahler-Experten Constantin Floros bekommen sie hier nicht allzu viel aus der Hansestadt zu sehen. Dafür hat Starr eine klare Meinung zu den Vokabeln Musikstadt, Tradition und Mahler: "Mahlers Beitrag zum Ruf Hamburgs ist gewaltig. Außerdem gilt er inzwischen als einer der größten Dirigenten aller Zeiten. Wie viele Städte können so viel kulturelles Erbe vorweisen? In New York, wo er die Philharmoniker leitete, wird seine Arbeit heute noch als heilig betrachtet", berichtet Starr. Und mit "Wenn seine Arbeit kein Denkmal verdient, was dann?" reagiert er auf die Nachricht, dass es eine solche Würdigung für Mahler in Hamburg nach wie vor nicht gibt.
Die Mahler-Forschung wird in seinem Film beileibe nicht neu erfunden, doch Starr bringt interessante neue Denkanstöße: Ein Experte deutet die "Meeresstille"-Notiz im ersten Satz nicht als Fingerzeig zu Goethes Gedicht, sondern denkt in Richtung Schopenhauer, zu dessen Überlegungen über die Welt als Wille und Vorstellung. "Ein philosophisches Thema zieht sich von Anfang an durch das Stück und endet in einer Apotheose, die für viele in der Musikgeschichte unerreicht ist. Das Thema ist Liebe."
Die Orchesterpassagen in diesem Film, der bei Musik- und Filmfestivals gezeigt werden soll, sind maßgeschneidert. Es spielt kein reguläres Orchester, sondern eine All-Star-Band, gemischt aus den New Yorker Philharmonikern, dem Met-Orchester und dem Philadelphia Orchestra, mit großer Verve dirigiert von Neeme Järvi. Bei den Dreharbeiten zum Vorgängerfilm über Mahlers Dritte hatte ein Musiker vorgeschlagen, ein Orchester aus Kollegen zusammentelefonieren zu können, sollte Starr sich wieder einmal mit Mahler beschäftigen wollen. Als es soweit war, kamen und spielten alle umsonst. Die Einzigen, die kein Erbarmen kannten, waren die Musikergewerkschaften, die auf ihren Obolus bestanden.
Wer hofft, nach Ansicht dieser Entdeckerreise mit endgültigen Weisheiten und Erkenntnissen über den tieferen Sinn der Zweiten versorgt zu sein, wird von Starr enttäuscht: "Es gibt keinen Weg, ein großes Kunstwerk vollständig zu verstehen", sagt er, "weil es wie ein lebendiges Geschöpf ist. Es verändert sich, so wie sich der Hörer beim Hören verändert. Wie kaum ein anderer Komponist fordert Mahler seinen Zuhörer zur Teilnahme beim Finden von Bedeutungen auf." Absicht des Films sei es, die philosophischen Zusammenhänge zu schildern. Er soll die Neugier von Menschen reizen, denen die andere Dimension in Mahlers Musik vielleicht noch nicht bewusst gewesen sei. "Das finde ich aufregend. Dafür ist das Medium Film ein gutes Werkzeug."