Hamburg. Eine Anthologie vereint Bahngeschichten von 23 Autoren – absurde und komische. Von Horst Evers über Cordula Stratmann bis Hans Zippert.

„Unternehmen Zukunft – die Bahn!“ So bewarb vor mehr als drei Jahrzehnten ein bis heute staatliches Großunternehmen namens Deutsche Bahn (DB) sich und den 1991 eingeführten Hochgeschwindigkeitszug Intercity-Express (ICE). Letztere fahren inzwischen in vierter Generation auf meist veralteten Trassen – wenn sie denn fahren oder nicht komplett ausfallen. Oder aber mit 30 Minuten und mehr Verspätung anrollen, die oft beschriebene geänderte Wagenreihung hier mal außer Acht gelassen, und von überfüllten Zügen im Regionalverkehr (Stichwort: „Deutschlandticket“) ganz zu schweigen.

Doch dass die zu 100 Prozent im Bundeseigentum befindliche DB so schnell nicht mehr – Achtung: Analysten-Sprech – „fit zu machen“ scheint für den einst geplanten echten Börsengang – womöglich auch ein Segen. Denn so bleibt die Bahn auf ihre Art ein deutsches Kulturgut, das Vielfahrer, Neukunden, Nostalgiker, schlicht Menschen aller Klassen verbindet. In Freud und Leid, aber auch mit Hohn und Spott.

Deutsche Bahn: Ein Buch voller Bahngeschichten – mit feinen Entgleisungen

Und wer glaubt, in deutschen Büchern sei alles geschrieben zum Thema Bahn, der oder die kann sich jetzt, mitten in der Hauptferienzeit, entspannt zurücklehnen: „Und sie bewegt sich doch!“ lautet – nicht eben originell – der Titel eines über weite Streckenabschnitte amüsanten Buchs voller Bahngeschichten von mehr als 20 bekannten Autorinnen und Autoren.

Die Anthologie „Und sie bewegt sich doch!“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen und hat 236 Seiten
Die Anthologie „Und sie bewegt sich doch!“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen und hat 236 Seiten © Rowohlt Verlag

Von E wie (Bernd) Eilert und (Horst) Evers bis Z wie (Hans) Zippert reicht die Aneinanderreihung, nur drei der profiliertesten und produktivsten Satiriker hierzulande. Und einige erweisen sich durchaus als Freunde der Bahn, je nach Neigetechnik, ob nun der Züge oder der Schreibe.

Die Bahn besser als ihr Ruf? „Man bekommt oft mehr Fahrzeit, als einem zusteht“

Ihre Reiseerlebnisse haben die Texter zu (überwiegend) wahren Geschichten verarbeitet, ihren Ärger über die seit Jahrzehnten von der Politik kaputtgesparte Bahn mal sarkastisch ausgedrückt, mal mit feiner Ironie ausgeschmückt. Mithin der beste (Fahr-)Plan, um den Frust als klimabewusster Reisender loszuwerden und bei Gleichgesinnten zumindest ein zustimmendes, Gemeinsamkeit stiftendes Lächeln hervorzurufen.

Horst Evers, Wahlberliner und Kleinkunstpreisträger, erzählt etwa von seinem unerwartet verlängerten Unterwegssein, ausgehend von seinem Bandscheibenvorfall (inklusive Koffer-Hebeverbot) mit Zwischenstopp in Wolfsburg. Dort, wo ICE-Züge bekanntlich schon öfter ungeplant vorbeigerauscht sind. „Die Bahn ist sehr viel besser als ihr Ruf“, schreibt Evers. „Ganz häufig bekommt man von ihr noch sehr viel mehr Fahrzeit dazu, als einem eigentlich zusteht.“

Dietmar Wischmeyer setzt der alten Herrentoilette in Hannover ein Denkmal

Komik entsteht bei den Bahngeschichten insbesondere, wenn Pech und Pannen ins Absurde kippen, wenn die Verzweiflung durchkommt, indem der Autor richtig schäumt oder das genaue Gegenteil von dem mitteilt, was er denkt. Bestes Beispiel: Dietmar Wischmeyer: „Die Deutsche Bahn gilt zu Recht als Symbol für alles, was in Deutschland richtig prima läuft“, eröffnet er sein Kapitel mit dem Titel „Mit der Eisenbahn durch die Zeiten“.

Scharf und bissig wie als Kolumnist in der ZDF-„heute-show“ schildert das sympathische Satire-Ekel aus Niedersachsen die Bahnfahrer-Gegenwart spitzfindig-innovativ („Muss man beim gleisgebundenen Pünktlichkeitsersatzverkehr umsteigen, hat man verloren“) und lässt sich in einem historischen Exkurs dramatisch über das alte Herrenklo im Hauptbahnhof Hannover aus: „Da gab es keine Schranke, die den Notdürftigen mit der fiebrigen Suche nach einer passenden Münze belästigte. Da stand, wie es sich gehört, eine Blechschachtel auf einem wackeligen Stuhl“, beschreibt es der 66-Jährige. Und lobt „das Fachpersonal, das den Zauber der Anlage ausmachte: hutzelige Männer in den besten Jahren, die vor nichts Angst hatten, hauptsächlich nicht vorm Lungenkrebs. Sie saßen da und husteten und rauchten. Mit der alten Herrentoilette verlor Hannover eines seiner großen Denkmäler“, lautet Wischmeyers bitterböses Fazit.

Hamburger-Comedy-Pokal-Siegerin Helene Bockhorst übernachtete im „Hotelzug“

Da können einige Kabarett-Kolleginnen satirisch nicht ganz mithalten. Die Erlebnisse von Barbara Ruscher und der Praxistest von Christien Prayon mit dem jeweiligen Ansatz, in der Bahn eine Geschichte über die Bahn zu schreiben, wirken recht bemüht.

Und Hanseatin Helene Bockhorst, deren Stern 2018 als erster Siegerin beim Hamburger Comedy Pokal aufging, braucht bei ihrem Kapitel „Schaden in der Oberleitung“ viel Strecke, ehe ihr stundenlanger Halt auf einer Brücke zwischen Kassel und Fulda, „quasi im Auge des Orkans“ nach einem Stromausfall noch komisch zündet: Sie und ihre Mitreisenden sollten in eigens bereitgestellten Hotelzügen übernachten. „Hotelzug“ stellte sich für Bockhorst dann als „Euphemismus des Jahrhunderts“ heraus: „Es handelte sich um einen ganz normalen Zug, nur dass auf jedem Sitz ein Duplo mit DB-Aufkleber lag...“

Deutsche Bahn: Cordula Stratmann rettet sich von der DB zum DK, dem deutschen Kopfschütteln

Es sind Geschichten, die niemand derart erfinden könnte, Begegnungen, die das oft absurde Leben in vollen Zügen in unseren Alltag holen. Die Hamburger Literaturpreisträgerin Katrin Seddig erweist sich bei ihrem (ungewollten) Aufeinandertreffen mit der großen und kräftigen Mittsechzigerin Ursula aus Husum im ICE nach Kassel im Abteil der schreibenden Comedians und Kabarettisten als besonders genaue und kluge Beobachterin. „Ein Sommerfoto“ heißt ihr feines Erzählkapitel.

Cordula Stratmann kann und will dem Thema Deutsche Bahn großräumig eigentlich gar nichts Neues hinzufügen. Indem sie sich aber elegant zu einem ganz anderen Sujet hinüberrettet,, gelingt es der Komikerin dennoch – von DB zu DK: „Über das DK, deutsches Kopfschütteln, kenne ich nicht einen einzigen Text. Dabei machen wir das schon so lange wie die DB Verspätung hat“, spottet sie.

Hans Zippert schließlich, einer von drei in diesem literarischen Kursbuch verewigten Ex-Verantwortlichen des Satire-Fachmagazins „Titanic“, empfindet das Bahnreisen in unserer durchorganisierten und durchgetakteten Welt wie manch andere „noch als echtes Abenteuer“. Der Bahnfahrer könne und dürfte sich auf nichts verlassen. „Das schärft die Sinne und hält jung“, meint Zippert. Untersuchungen hätten gezeigt, „dass Bahnreisende im Durchschnitt eine zehn Jahre höhere Lebenserwartung haben. Der Tod tritt einfach mit großer Verspätung ein, in einigen Fällen kann er sogar komplett ausfallen“, treibt es Zippert auf die Spitze.

Fast so, als gäbe es die Bahncard „Himmelhochjauchzend“!

Buch: Horst Evers, Cordula Stratmann, Dietmar Wischmeyer u.a.: „Und sie bewegt sich doch!“ BG/ Bahngeschichten, 236 Seiten, Rowohlt Berlin, Preis 16 Euro; Hörbuch (mit nur acht Autoren): 156 Min., Argon Verlag, 15 Euro.