Hamburg. Nach „Panikherz“ erscheint ein neues Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre. Eine Französin hat den explizitesten Romantitel der Saison.
Es gibt kein Vorbeikommen am Herzog von Sussex, dem medial so furchterregend präsenten, pekuniär ehrgeizigen abtrünnigen England-Prinzen. Die Doku auf Netflix? Pflichtprogramm für Fans royaler Soaps.
Und weil Lesen wie Fernsehen ist, nur mit Buchstaben, kann ab 10. Januar weiter gebingt werden. Da erscheint weltweit „Reserve“, die Autobiografie, die Prinz Harry nun im reifen Alter von 38 Jahren vorlegt. Wird sich verkaufen wie bekloppt. Auch wir sind gespannt, was Harry so rauslässt.
Neue Bücher 2023: Der Literatur-Frühling hat es in sich
Wären aber sehr überrascht, wenn Harry sich als Edelfeder mit Erzähltalent entpuppte. Deswegen, nach diesem Bestseller-Beginn, ohne weitere Umschweife zu den wahrhaft literarischen Vorfreuden. Dem Literatur-Frühjahr, in dem es neue Bücher und etliche anberaumte Lesungen zu vermelden gibt.
Aufgrund der dramatischen Ereignisse um Salman Rushdie, der im Sommer auf einer Veranstaltung in den Vereinigten Staaten niedergestochen und schwer verletzt wurde, muss dieser Literaturgigant den Anfang machen. Im Abendblatt-Interview berichtete Ian McEwan kürzlich, sein Freund Rushdie, der bei der Attacke ein Auge verlor, wolle wieder „zurück in die normale Welt“.
Sein neuer Roman „Victory City“, der am 20. April erscheint, spielt in Indien, dem Land, in dem Rushdie geboren wurde, und im 14. Jahrhundert. Es geht um Aufstieg und Fall einer Zivilisation. Und um Macht und Liebe. Also um die großen Themen. Um was selbst sollte sich ein 75-Jähriger, der zu den allerbekanntesten Schriftstellern der Welt gehört, auch sonst kümmern?
Bret Easton Ellis mit erstem Roman seit zehn Jahren
Internationale Stars – in Tüddelchen oder nicht, also „Stars“? Ach, das geht auch ohne. Die Starautorin an sich ist zwar keine Starschauspielerin, aber eben doch: von herausragender Bekanntheit. Und 2023 hat literarisch eine gewisse Stardichte: Hochkaräter allüberall. Nach mehr als zehn Jahren veröffentlicht Bret Easton Ellis am 17. Januar „The Shards“ – gleichzeitig auf Englisch und Deutsch.
Ein dicker Pageturner, in dem der Autor von „American Psycho“ eintaucht in das Leben des 17-jährigen Bret, der privilegiert in L.A. aufwächst, wo das Drama der Adoleszenz, wo Sex und Begehren und Konkurrenz in ihrer Blüte stehen. Dann wird’s traumatisch: Ein Serienmörder, der es auf Jugendliche abgesehen hat, sorgt für Angstzustände. Man gruselt sich, man amüsiert sich auch dezent. Der Bret-Easton-Ellis-Faktor: Unter jeder Oberfläche ist… noch eine Oberfläche. Mindestens stilistisch.
J.M. Coetzees neuer Roman „Der Pole“ erscheint im Mai, ebenso T.C Boyles „Blue Skies“. John Irving hat sich, nicht ganz Ellis-Niveau, reichlich sieben Jahre Zeit für einen neuen Roman gelassen. In der deutschen Übersetzung erscheint „Der letzte Sessellift“, in dem Irving vom Ski-Fahren erzählt (und dabei wie gehabt sich großzügige Portionen des sogenannten magischen Realismus zugesteht), erscheint am 26. April.
Ebenfalls im April kommt A.L. Kennedys „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ in den Handel. Schon früher sind Douglas Stuart, der nach seinem fantastischen, Booker-bepreisten „Shuggie Bain“ die schwule Liebesgeschichte „Young Mungo“ (Februar) vorlegt, und Percival Everett mit seinem parodistischen Thriller „Die Bäume“ (Februar) dran, ernster Hintergrund des letzteren: der grassierende Rassismus in Amerika.
Martin Suter legt „Melody“ vor und liest im St. Pauli Theater
Den einprägsamsten Romantitel der ersten Quartale 2023 hat Virginie Despentes’ neues Buch: „Liebes Arschloch“ (Februar) handelt von narzisstischen Kreativen, die sich im Internet nach einem Instagram-Post befehden. Ihre Bekanntschaft ist digitaler Natur.
Emails und Whatsapps spielen auch in dem Roman „Zwischen Welten“ (25. Januar) eine entscheidende Rolle. Der Roman ist das Produkt zweier Autoren, von Juli Zeh („Über Menschen“), der vermutlich erfolgreichsten Schriftstellerin Deutschlands, und dem Hamburger Simon Urban („Plan D.“) – wie die Zusammenarbeit wohl vonstatten gegangen ist? Das Unterfangen ist ambitioniert: Anhand zweier Menschen, einem Hamburger Journalist und einer Brandenburger Biobäuerin, soll von den Dingen erzählt werden, die Spaltpotenzial haben. Land versus Stadt, Klimapolitik, Rassismus, der Genderkram – ein Buch der Gegenwart.
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Damit wäre man bei Deutschsprachlern, vor deren Nennung aber noch kurz und mit Blick nach Norwegen erwähnt sei, dass von Karl Ove Knausgårds neuem, mit Motiven der Fantastik spielenden Zyklus nun der zweite Band erscheint. „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ erzählt die Vorgeschichte von „Der Morgenstern“ und erscheint im Februar. Also, deutsche, österreichische und Schweizer Autorinnen und Autoren: Clemens J. Setz, Büchner-Preis-Träger, veröffentlicht mit „Monde vor der Landung“ eine Art Querdenker-Roman im Februar.
Martin Suter, er ist nach dem Schweinsteiger-Fiasko „Einer von euch“ nun fast(!) ein bisschen unter Druck, legt im März „Melody“ vor (Lesung am 10. Mai im St. Pauli Theater). Suter-Buddy Benjamin von Stuckrad-Barre hat auch bereits eine Lesung anberaumt: am 1. Juni in der Markthalle. Um sein neues Buch wird noch ein Geheimnis gemacht, es soll im April erscheinen.
Heinz Strunk: Neue Erzählungen im Juni
Mehr weiß man von einem anderen Bestsellerautor: Robert Seethaler, der König der Mikrowelten, veröffentlicht im April den Roman „Das Café ohne Namen“. Und Heinz Strunk seinen Erzählungsband „Der gelbe Elefant“ im Juni: Längst ist der Literatur-Erfolgsgarant ein überzeugter Sommermann. Seine Bücher erschienen zuletzt verlässlich in jener Jahreszeit; Strunk-Helden, wer wüsste das nicht, scheint die Sonne aber nie aus dem Allerwertesten.
Wo man schon bei Hamburg ist – Hubert-Fichte-Preisträgerin Katrin Seddig hat wie ihr neuerdings zusätzlich in Wien beheimateter Kollege Matthias Politycki, einen neuen Roman am Start. Ihrer heißt „Nadine“ (erscheint am 18. April, Lesung an nämlichem Tag im Warburg-Haus) und handelt von einer Frau, die Rache will, seiner „Alles wird gut: Chronik eines vermeidbaren Todes“ (erscheint am 3. April, Lesung am 25. April im Literaturhaus) und handelt von einer äthiopischen Frau, die ihrem Schicksal nicht entkommen kann.
Andreas Dorau und Sven Regener haben sich erneut zusammengetan
Weitere Lesungen im Literaturhaus: Raphaela Edelbauer stellt am 1. März ihren Roman „Die Inkommensurablen“ (erscheint im Januar) vor, Peter Stamm am 22. März seinen Roman „In der dunkelblauen Stunde“ (erscheint ebenfalls im Januar) und Mohamed Mbougar Sarr seinen mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ am 7. Februar.
Zu guter Letzt ein weiterer Blick in die deutschsprachige Literatur. Notiert ist eine Liste mit Judith Hermanns Roman „Wir hätten uns alles gesagt“ (15. März), Eugen Ruges Roman „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ (20. April), Helga Schuberts Erzählung vom Krankenbett „Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe“(16. März) und Bodo Kirchhoffs Novelle „Nachtdiebe“ (Juni).
Literatur von Musikern ist ebenfalls angekündigt, Sven Regener und Andreas Dorau haben sich für „Die Frau mit dem Arm“ (Februar) noch einmal zusammengetan. Und Dirk von Lowtzow poetisierte zuletzt sein Pandemie-eingefrorenes Leben. Das Ergebnis ist „Ich tauche auf“ (9. März, Lesung und Konzert am 26. April im Schauspielhaus).