Hamburg. Der Satiriker legt mit seinem Buch „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ einen kurzweiligen Erzählband vor – inklusive Corona-Tagebuch.

Die Anfrage kommt unvermittelt, per Telefon. „Spreche ich mit Herrn Evers?“ – „Wer ist da?“ „Google!“ – „Wie Google?“ – „Na, Google eben.“ Den Anruf von und seinen Kampf mit der Internet-Suchmaschine, die ihn als selbstlernendes Sprachprogramm kontaktiert, hat Horst Evers fast schon lustvoll erzählt, als er das noch auf der Bühne vor Publikum vortragen respektive vorlesen konnte.

Zuletzt in St. Georg im Polittbüro beim satirischen Rückblick auf 2019 mit dem fünfköpfigen Jahresendzeitteam um den Berliner Liedermacher Manfred Maurenbrecher und den Schriftsteller Bov Bjerg („Auerhaus“, ,Serpentinen“). Wie sein schwäbischer Kollege hat es auch Kabarettist Evers längst zum Bestsellerautor gebracht.

Horst Evers steht auch für eine Gemütlichkeit 2.0

Was macht es da, dass gut die Hälfte von Evers’ Geschichten aus den vergangenen drei Jahren in seinem neuen Buch aus seinen Soloprogrammen bekannt sind. Sagt Evers ja selbst. Der Mann mit dem breiten Scheitel, dem runden Gesicht und dem markanten roten Hemd steht nicht nur für pointierte Vorlesekunst, sondern für eine Gemütlichkeit 2.0.

Sich von einem Algorithmus bescheinigen zu lassen, sein Leben sei langweilig, zeugt indes von viel Selbstironie. Die zieht sich nach dem erwähnten, dialogstarken ersten Kapitel „Empfehlen Sie nicht uns weiter, wir empfehlen Sie weiter“ durch sein gesamtes Buch. „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“, lautet der Titel – übrigens ein Lehrsatz seines ehemaligen Mathelehrers.

„Wir kommen sehr schnell zu Wissen, aber wir werden nicht klüger“, hat der Humorfacharbeiter Evers in der Gegenwart erkannt. Der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises von 2008, Sachbuch- und Krimiromanautor („Für Eile fehlt mir die Zeit“, „Der König von Berlin“) wird auch im neuen Buch in seinem Erzählton nie böse, allenfalls ab und an mal schnoddrig. Das Absurde im Alltäglichen herauszukitzeln versteht er mehr denn je. Nicht bloß, weil Evers seinen Kurzgeschichten Erlebnisse seines bisherigen vielschichtigen (Arbeits-)Lebens hinzugefügt hat.

Horst Evers hat schon 31 verschiedene Berufe ausgeübt

Horst Evers, Jahrgang 1967, der eigentlich Gerd Winter heißt und das Naturschutzgebiet Evershorst in der Nähe seines Geburtsortes Diepholz als Inspiration für seinen Künstlernamen nutzte, sagt von sich, er habe schon 31 verschiedene Berufe ausgeübt. 13 haben es wie nebenbei ins neue Buch geschafft, vom „Landmaschinenmechaniker-Assistent beziehungsweise Festhalter“ bis zum „Vorleser und Ableser“.

Er sei ein „klassischer Bildungsaufsteiger“ aus einfachen Verhältnissen vom flachen Land, charakterisiert sich Evers. Schon bevor er als 20-Jähriger ins damalige Westberlin zog, um an der Freien Universität zunächst Publizistik, später Germanistik und Soziologie zu studieren und in der Frontstadt als Nachhilfelehrer, Taxifahrer und Eilzusteller jobbte, hatte er in der heimischen niedersächsischen Provinz bereits Karrieren als Rockstar und Koch hinter sich.

Sogar der Corona-Pandemie gewinnt Evers Amüsantes ab

Letztere beschreibt Evers im Kapitel „Die linke Hand Gottes“ besonders amüsant: Als der junge Küchenhelfer bei der Vorstellung des Personals eines Landgasthofs vor einer Festgesellschaft vom Koch derart herabgewürdigt wird, gibt der Helfer dem Chef Kontra und sagt laut: „Und hier Gott persönlich, der Konrad Kujau der Meisterköche!“ Stille im Saal. Nach der Anspielung auf den Fälscher der Hitler-Tagebücher konnte Gerd alias Horst den Kochlöffel sogleich wieder abgeben...

Bei der Suche nach Wissen und Wahrheit vergleicht Evers, heute Vater einer pubertierenden Tochter, die Inkonsequenz seiner Erziehung im Bezug auf Partyverbote schon mal mit der Kontrolle von Waffenexporten des Bundeswirtschaftsministeriums: „Absolut streng, gemäß aller ethischen Vorgaben. Es sei denn, jemand will was kaufen. Dann muss man den Einzelfall prüfen“, schreibt er. Und beim Kapitel Ernährung? Nachdem er für sich Fleischereien entdeckt hat, die mit „veganfreier Wurst“ werben, sei er zum „Flexitarier“ geworden, bekennt Evers schelmisch.

Sogar der andauernden Corona-Pandemie gewinnt Evers Amüsantes ab, indem er ein kurzweiliges, teils äußerst groteskes Tagebuch in seine Sammlung von komischen Geschichten eingebettet hat. Das enthält auch zwiespältige Komplimente zu seiner Corona-Maske. Oft gehört habe er die Sätze „Die Maske steht dir wirklich ausgezeichnet“, oder – auch für einen jetzt 54-Jährigen nur ansatzweise lustig – „Die Maske macht dich 20 Jahre jünger“. Evers’ Erkenntnis: „Leider war jeder dieser Sätze glaubhaft gut gemeint und damit natürlich zusätzlich niederschmetternd.“

Der Humor hilft dem Satiriker, die Kontrolle zu behalten

Jedoch scheint es ihm in der Krise besser ergangen zu sein als einem offensichtlich zum Homeoffice verdonnerten anderen Vater. „Ich kann nicht arbeiten, wenn meine Familie zuguckt“, zitiert Evers einen in sein Headset bellenden Jogger im Park. Evers selbst macht von Berlin-Kreuzberg aus fast nur noch ausgedehnte „Arbeitsspaziergänge“ – von Video-Konferenzen hatte er mehr als genug.

Der Humor helfe, die Kontrolle zu behalten, weiß der Satiriker. „Meine Arbeit besteht aus Gucken und Zuhören“, beschreibt Horst Evers im Gespräch seine Tätigkeit. Die Beobachtungen so aufzuschreiben ist indes eine Kunst, sie zu lesen eine große Freude. Nicht nur, aber erst recht in diesem Zeiten. Und das hat nichts – siehe anfangs – mit künstlicher Intelligenz und Algorithmen zu tun.

Kabarettistischer Jahresrückblick auf 2020 unter www.horst-evers.de