Hamburg. Ein 90-minütiger Gute-Laune-Auftritt im Stadtpark: Die Fans trotzen beim Konzert von Nile Rodgers und Chic dem schlechten Wetter.
Das Aufbrezeln für eine coole Party fällt aus, denn über Hamburgs Stadtpark zieht am Montagabend eine Schlechtwetterfront mit Dauerregen hinweg. Doch Hamburgs Musikfans lassen sich davon nicht die Feierlaune verderben. Dann werden im Sommer eben Regenjacken, Plastikponchos und Gummistiefel rausgeholt. Schlechtes Wetter gibt es nicht, höchstens falsche Kleidung.
Nile Rodgers und Chic: Der Disco-Gott bezwingt den Regen-Gott
Ein DJ spielt bekannte Disco-Hits zum Eingrooven, die Schlangen an den Getränkebuden sind lang, zu einer Party gehören natürlich die entsprechenden Drinks. Um Punkt 20 Uhr geht’s dann richtig los. Nile Rodgers und Chic kommen auf die Bühne. „Are you ready?“, fragt der Gitarrist mit dem langen Rastazopf und der weißen Baskenmütze und ab geht die Post – anfangs sogar ohne Regen.
„Freak Out“ heißt die erste Nummer des 90-minütigen Auftritts, ein Chic-Hit, der Programm für den weiteren Abend ist. Immer wieder animiert Rodgers sein Publikum dazu, mitzusingen, mitzuklatschen, die Arme zu schwenken oder einfach zu den Disco-Beats zu tanzen. Jeder der 4000 Zuhörer kennt die Songs, die Rodgers für Chic und andere Sänger und Sängerinnen geschrieben und aufgenommen hat. „Everybody Dance“, „Dance, Dance, Dance“ und „I Want Your Love“ sind die ersten Hits auf dem Programmzettel von Rodgers, den beiden schwarzen Sängerinnen Kimberley Davis (mit weißer Perücke) und Audrey Martells (mit Afro) und einer sechsköpfigen Band. Die Chic-Songs gehen als Medley ineinander über, denn der Disco-Express muss rollen und rollen und rollen...
Mehr als 500 Millionen Alben und 75 Millionen Singles hat Nile Rodgers verkauft
Ab und zu unterbricht Rodgers die Groove-Maschine und erzählt, mit wem er schon alles zusammengearbeitet und wie viele Grammys er bereits gewonnen hat. Das wirkt etwas angeberhaft und ist überflüssig: Die meisten im hier wissen, dass der Künstler aus New York als einer der innovativsten Produzenten und Songschreiber gilt.
Mehr als 500 Millionen Alben und 75 Millionen Singles sind mit Rodgers’ Beteiligung weltweit verkauft worden, sechs Grammys hat er eingesammelt, unter anderem einen für sein Lebenswerk. Wichtig ist der Afroamerikaner innerhalb der Pop-Historie auch, weil er sowohl mit weißen als auch mit schwarzen Musikern und Bands herausragende Erfolge feiern konnte. Das französische Electro-Duo Daft Punk gehört genauso zu seinen Kunden wie Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger, die Motown-Ikone Diana Ross oder Superstar Beyoncé.
Von Diana Ross bis David Bowie: Es gibt Hits ohne Ende
Mit Kimberly Davis und Audrey Martells hat Nile Rodgers für die aktuelle Chic-Besetzung zwei stimmgewaltige Sängerinnen gefunden, die jede der großen Diven ohne Qualitätsverlust covern können. Martells zeigt das bei den beiden Diana-Ross-Hits „I’m Coming Out“ und „Upside Down“, Davis etwas später mit Madonnas „Like A Prayer“ und „Material Girl“, zwei Songs, bei denen Nile Rogers seine Finger entscheidend mit ihm Spiel hatte.
Bei den Madonna-Songs geht ein heftiger Wolkenbruch über dem Stadtpark runter, doch nach einer Single-Länge ist die dunkelgraue Wolke weitergezogen, ohne größere Wirkung beim euphorischen Publikum hinterlassen zu haben. Das folgt weiterhin Nile Rodgers’ wie geschmiert laufender Hit-Maschine und seinen typischen, schnell geschlagenen Gitarren-Riffs. David Bowies „Modern Love“ steht auf der Setliste, Daft Punk ist mit „Get Lucky“ und „Lose Yourself To Dance“ vertreten, bei „Spacer“ von Sheila & B Devotion und „Lady“ von Modjo werden die Refrains besonders intensiv mitgesungen. „Lost In Music“, im Original von Sister Sledge, ist ein weiterer Höhepunkt. Und immer wieder sieht man Frauen der Generation Ü50, die beswingt zu den Bierständen tanzen.
Den Schlusspunkt des Abends setzt die Band mit dem Überhit „Good Times“
Nile Rodgers hat bei den Medleys ordentlich Gas gegeben, so dass die meisten seiner größten Kracher schon nach einer Stunde von der Setliste abgearbeitet sind. In der letzten halben Stunde greift der Disco-Gott in die Animationskiste und fordert das Publikum zu einem „Call and Response“ auf. „I say ,Hamburg’ und you say ,Yeah’“ ist allerdings nicht gerade die hohe Schule der Mitmach-Spiele. Die Fans werden in Bewegung gehalten und sie machen bereitwillig diese Zeitschinderei mit, aber schöner wäre es gewesen, wenn er einige der zuvor gehörten Hits in längeren Versionen vorgetragen und nicht nur kurz angespielt hätte.
- Wacken Open Air: Tausende Besucher stranden bei Anreise zum Metal-Festival
- Fettes Brot: „Ich muss gleich anfangen zu heulen“
- Kultursenator schreibt exklusiv über Springsteen-Konzert
Zum Ende des Konzerts packt Rodgers noch zwei seiner größten Erfolge aus. Im Dezember 1982 nahm er in New York zusammen mit David Bowie dessen Album „Let’s Dance“ auf. Der „Thin White Duke“ sang damals knallharten amerikanischen Funk und setzte einen neuen Meilenstein in seiner Karriere. Der Regen im Stadtpark hat wieder eingesetzt, aber egal. „Is the rain gonna stop us?“ fragt Rodgers. Die klare Antwort: „No!“
Den Schlusspunkt setzen Rodgers und Chic mit „Good Times“. Dieses Lied steht für das, was diese Band repräsentiert: „Peace, love and good times“. Darin eingebettet ist der erste Hip-Hop-Erfolg „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang. Ohne Chic hätte es diesen Track nicht gegeben, denn er basiert auf „Good Times“. Nile Rodgers kann sich auch den „Hip-Hop-Pionier“ auf seine Erfolgsliste schreiben. Sein Party-Konzept ist in Hamburg voll aufgegangen, der Disco-Gott hat den Regengott bezwungen.