Hamburg. Auch 2023 war das Elbjazz ein Erfolg. Die Organisatoren denken dennoch über Änderungen nach. Die dürften nicht allen gefallen.

Die 600 Regenschirme, die in einer Kiste vor dem Elbjazz-Festivalgelände lagern, könnten auf den Gedanken kommen lassen, dass wie 2018 ein Regendesaster droht – doch das Gegenteil ist der Fall. Die Sonne scheint an beiden Tagen bei Temperaturen von bis zu 28 Grad so konstant vom Himmel, dass die Schirme denen als Schutz dienen sollen, die anstehen, um ihr Ticket gegen ein Festivalbändchen auszutauschen. Nicht die einzige vorausschauende Maßnahme des Orga-Teams, das auch für (kostenlose) Trinkwasserstellen sorgt und per App mitteilt, wenn irgendwo ein Stau entsteht und etwa in die Schiffbauhalle wegen des großen Andrangs niemand mehr eingelassen werden kann. Vorbildlich.

Ausblick auf 2024: Wird das Elbjazz Festival dem Jazz ein wenig untreu?

Gleiches Lob verdient sich das Programm, das zwar – wohl auch aus Etatgründen – nicht die großen Namen aufzuweisen hat, mit dem die internationale Festivalkonkurrenz punktet, dafür aber viele positive Überraschungen bietet. Etwa die ghanaische Band Sounds Of Joy, die kurzfristig ohne ihren Frontmann Alogte Oho auskommen muss, aber dennoch eine mitreißende Afro-Funkjazz-Show bietet. Oder die australische Formation Dope Lemon, die wenig bis nichts mit Jazz zu tun hat, deren melodischer Psychedelic-Surfrock aber perfekt ins sommerliche Ambiente bei Blohm+Voss passt.

Ein Höhepunkt am Freitag ist der Auftritt des Quartetts von Cellistin Tomeka Reid, zu dem auch Avantgarde-Gitarristin Mary Halvorson gehört. Zwar ist der Große Saal der Elbphilharmonie nur zu etwa 40 Prozent gefüllt, doch wer gekommen ist, erlebt einen Höhepunkt der Elbjazz-Geschichte. Hier ist jede Sekunde aufregend, ist nie klar, was als Nächstes passiert, wohin Cello, Gitarre, Bass und Schlagzeug wandern. Großer Jubel.

Elbjazz Festival: Viel mehr Konzertvielfalt geht nicht

Später spielt Halvorson noch im Duo mit Schlagzeuger Tomas Fujiwara in St. Katharinen. Auch das ist ein Ereignis. Währenddessen lässt die Techno Marching Band Meute es vor euphorischem Publikum bei Blohm+Voss krachen. Viel mehr Vielfalt geht nicht.

Gilt auch für den zweiten Tag, an dem die franko-karibische Sängerin, Bassistin und Produzentin Adi Oasis mit Band auf der Hauptbühne mit einem Crossover aus New Soul, Funk und R’n’B begeistert. Hüftkreisend und mit der Eleganz einer Katze bewegt sich die schwangere Sängerin im hautengen Jumpsuit über die Bühne und würdigt nach ihren eigenen Songs die House-Ikone Crystal Waters mit ihrer Interpretation von „Gypsy Woman“, verwandelt das „She’s Homeless“ kurzerhand in „She’s Pregnant“. Ganz stark!

Elbjazz: Preisträgerkonzert und der Auftritt von Derya Yıldırım als Höhepunkte

Ebenfalls eindrucksvoll: die Verleihung des Hamburger Jazzpreises an Schlagzeuger Dirk Achim Dhonau. Das anschließende Preisträgerkonzert in der Schiffbauhalle ist einer der Höhepunkte des Tages – auch weil Anna-Lena Schnabel am Saxofon (und an der Flöte) sich nach längerer Pause mit furiosem Spiel auf der großen Bühne zurückmeldet. Mit Bassistin Lisa Wulff (Deutscher Jazzpreis 2023) und der NDR Bigband (mit Pianist Omar Sosa) sind danach alte Elbjazz-Bekannte zu hören. Ihr Festivaldebüt gibt die Hamburger Sängerin Derya Yıldırım, eine Virtuosin an der Bağlama, einer Langhalslaute. Und was für ein Debüt das ist. Die Mischung aus anatolischer Folklore und an The Doors erinnernder Psychedelia, verfeinert mit einer ordentlichen Prise Jazzfunk, lässt mal sanft im Takt wiegen, mal begeistert mitklatschen.

Sängerin und Bağlama-Virtuosin Derya Yıldırım begeisterte beim Elbjazz Festival 2023.
Sängerin und Bağlama-Virtuosin Derya Yıldırım begeisterte beim Elbjazz Festival 2023. © Marcelo Hernandez

Für manche ist das eine Alternative zum Auftritt des Tingvall Trios in der Schiffbauhalle, bei dem wegen des enormen Andrangs ein Einlassstopp verhängt werden muss. Auch vor der Videoleinwand, auf die das Konzert übertragen wird, bildet sich ein großer Menschenpulk. Und hinterher stehen Pianist Martin Tingvall, Bassist Omar Rodriguez Calvo und Schlagzeuger Jürgen Spiegel noch eine Dreiviertelstunde am Stand ihrer Plattenfirma Skip Records, um für die geduldig ausharrenden Fans LPs und CDs zu signieren. In jeder Hinsicht ein erfolgreiches Heimspiel.

Elbjazz: In der Schiffbauhalle muss es immer mal wieder einen Einlassstopp geben

Für Trompeter Nils Wülker und seine Band werden schließlich, das Elbjazz neigt sich dem Ende zu, die Sitzbänke aus der Schiffbauhalle geräumt – einen Einlassstopp muss es trotzdem irgendwann geben, so groß ist auch hier das Interesse.

Auf den ersten Blick ist die in der Nacht zum Sonntag von den Organisatoren per Pressemitteilung verbreite Euphorie also absolut berechtigt. „Großartiges Festivalwetter, großartiges Programm, großartiges Publikum“, resümiert Festivalleiter Alexander Schulz. Und doch ist nicht alles rosarot. Der Vorverkauf speziell für den Freitag lag, Insidern zufolge, deutlich unter dem Vorjahr, am Ende kamen etwa 20.000 Besucher an beiden Festivaltagen, im Vorjahr waren es noch 24.000, 2017 sogar 29.000. Auch die Möglichkeit, mit einem Elbjazz-Ticket ein Konzert in der Elbphilharmonie erleben zu können, hat mehr als sechs Jahre nach der Eröffnung an Reiz verloren.

Über die Stilvielfalt bei der diesjährigen Elbjazz-Ausgabe heißt es mit einem Augenzwinkern, die „Jazzpolizei“ hätte wegen der Techno-, Rap- und Rock-Elemente wohl „einiges zu tun“ gehabt. Tatsächlich aber deutet sich ein programmatischer Wechsel an, der nicht jeder und jedem gefallen dürfte. Zwar behält das Festival den Jazz im Namen, heißt also weiterhin Elbjazz, doch in der aktuellen Pressemitteilung ist zu lesen: „Nach einer solch gefeierten Ausgabe stehen die Zeichen auf Vielfalt, zu der in Zukunft auch Rock- und Pop-Acts gehören können.“ Hintergrund ist wohl die Hoffnung, mit dieser offensiven Erweiterung des Programms wieder mehr Publikum zu locken. Vermutlich auf Kosten des klassischen Jazz.

Beschlossen wird das konkrete Programm für 2024 erst im Herbst, der Kartenvorverkauf läuft allerdings schon. Und vielleicht spielt das Line-up ja ohnehin für viele Besucherinnen und Besucher, die sich gern in entspannter Atmosphäre treiben lassen, nur eine Nebenrolle. Jedenfalls so lange das Wetter so gut ist wie in diesem Jahr und organisatorisch weiterhin ein Rundum-sorglos-Paket inklusive Sonnenschutz geboten wird.

Karten für das Elbjazz 2024: elbjazz.de