Hamburg. Er wurde bekannt als „Der Landarzt“, seinen Durchbruch schaffte er mit einem „Tatort“. Nun ist Quadflieg mit 78 Jahren gestorben.
Sein Vater hatte ihn gewarnt: „Jung, lass das lieber, der Beruf ist so anstrengend.“ Gehört wurde die liebevolle Warnung zwar, Christian Quadflieg hat sie später gern und mit einem Lächeln erzählt. Gefruchtet haben die Worte allerdings nicht. Wie seinen Vater Will Quadflieg – einst Gustaf Gründgens’ legendärer „Faust“ am Deutschen Schauspielhaus und im Kino – hat es auch den Sohn zur Bühne gezogen.
Und anstrengend wurde es durchaus: Beim ersten Vorsprechen fiel der junge Schauspieler durch. Nach seiner Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule in Bochum ging Christian Quadflieg dann zunächst nach Oberhausen, Wuppertal und Basel, bevor die größeren Bühnen auf ihn aufmerksam wurden. Quadflieg spielte am Thalia Theater in Hamburg, an der Volksbühne in Berlin, am Wiener Theater in der Josefstadt, am Schauspielhaus Zürich, sogar bei den Salzburger Festspielen, wo sein Vater einst den „Jedermann“ verkörperte.
Für die Dreharbeiten zu einem Fernsehkrimi, der seine Karriere, die des Regisseurs und die seiner Partnerin nachhaltig prägen sollte, reiste er schließlich 1976 von den Theaterfestspielen im oberfränkischen Wunsiedel zum Drehort in der Holsteinischen Schweiz. Vielleicht, im Rückblick betrachtet, eine symbolische Reise, ein Übergang, ein eigener Weg hinaus aus den ganz großen Fußstapfen: Christian Quadflieg ging zum Fernsehen. Und wurde, nach kleineren Rollen und einem Auftritt im Dreiteiler „Der Winter, der ein Sommer war“, mit Wolfgang Petersens „Tatort: Reifezeugnis“ ebenfalls berühmt.
Christian Quadflieg wurde als „Der Landarzt“ bekannt
An seiner Seite spielte damals der Nachwuchs einer weiteren Ausnahmepersönlichkeit: die erst 16 Jahre junge Nastassja Kinski, Tochter von Klaus Kinski, als Schülerin Sina, die eine Affäre mit ihrem Lehrer hat. Der Film sorgte für einen kleinen Skandal (der Schmollmund! Die nackte Brust!), der Tatort ging in die Fernsehgeschichte und ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik ein. Der Regisseur machte Karriere in Hollywood („Das Boot“, „Die unendliche Geschichte“, „In the Line of Fire“), Nastassja Kinski drehte mit Regisseuren wie Wim Wenders und Roman Polanski.
Und auch Christian Quadflieg hat sich später gern an seinen Durchbruch erinnert: „Für mich ist der Film ein Beweis, dass ein guter Krimi nicht unbedingt Action und Blut braucht. Als ich die erste Seite des Drehbuchs las, wusste ich sofort, dass ich für diese Rolle zusagen würde.“
Der „Tatort“ war der Auftakt zu einem öffentlichen Leben. Christian Quadflieg, der 1945 in Schweden geboren wurde, aber in Hamburg aufwuchs, gab an die 200 Rollen. Er wurde in „Derrick“ und „Der Alte“ besetzt, spielte in „Ein Fall für Zwei“ und im „Traumschiff“. Erkannt und angesprochen zu werden, das gefiel ihm – mehr jedenfalls, als sich selbst auf dem Bildschirm zu begegnen, wie er selbstironisch einräumte: „Ich denke bei vielen Szenen, was ich noch hätte besser machen können. Und dann schaue ich die 20. Wiederholung. Und es ist immer noch nicht besser.“
Christian Quadflieg wurde das, was man einen Publikumsliebling nennt
Seine Zuschauerinnen und Zuschauer waren da ganz anderer Ansicht. Christian Quadflieg wurde das, was man einen Publikumsliebling nennt. Dafür sorgte besonders eine Rolle: Dr. Karsten Mattiesen in der erfolgreichen ZDF-Vorabendserie „Der Landarzt“. 42 Folgen lang kümmerte sich Christian Quadflieg von 1987 bis 1992 in der Titelrolle um die Einwohner des idyllischen, allerdings fiktiven Dörfchens Deekelsen an der Schlei. Seine Filmpraxis ist heute ein Café, der Lindauhof, und noch immer hängen dort Fotos der Dreharbeiten im Gastraum, auch von Christian Quadflieg, der die TV-Praxis allerdings nach wenigen Jahren an seinen Nachfolger Walter Plathe übergab.
Ursprünglich habe er sich gar nicht an eine so lang laufende Serie binden wollen, gestand er einmal einem Abendblatt-Reporter. Seine Frau, die Kollegin Renate Reger, habe ihn überredet, „das Wagnis einzugehen“. Bereut hat er es nie, wiederholt durchaus: Als Chefdirigent in der Serie „Vater wider Willen“ erreichte er ebenfalls ein großes Publikum.
Christian Quadflieg liebte Schiller und Goethe, Heine und Kästner
In seinen späteren Jahren – äußerlich glich er immer mehr dem Vater – hat es ihn dann wieder zurück zur Bühne gezogen; nicht mehr in ganz große Produktionen, aber doch mit ganz großen Namen im Gepäck. Quadflieg las Schiller und Goethe, Heine und Kästner, war regelmäßiger Gast in der Komödie Winterhuder Fährhaus und im Sasel-Haus (in dessen Nachbarschaft er lebte), in der Freien Akademie der Künste, deren Mitglied er war, und im Michel. Immer mit einem hohen Maß an Disziplin und Pflichtgefühl. Das alte Schauspieler-Credo „Der Lappen muss hoch“ galt auch für ihn, der im Alter mit schweren Rückenleiden zu kämpfen hatte: Für einen Einsatz bei der Abendblatt-Benefizveranstaltung „Märchen im Michel“ ließ er sich einmal nach einer Operation aus dem Krankenhaus abholen. Direkt nach dem Auftritt fuhr ihn seine Frau wieder zurück in die Klinik.
Als Rezitator fühlte sich Christian Quadflieg jedoch nicht allein seinem Publikum verpflichtet, sondern auch den Autoren, deren Texte er liebte. An Erich Kästner schätzte Quadflieg vor allem dessen „liebevollen Zynismus und sarkastische Güte“ und vornehmlich seine meisterhaft präzise Sprache. Kästners Texte zu sprechen, war für den Schauspieler auch ein politisches Statement, wie er einmal im Abendblatt erklärte: „Mit Sorge beobachte ich, dass zunehmend schlampiger mit unserer Sprache umgegangen wird. Ausdrücke in der politischen Debatte wie ,Wir werden sie jagen’ über unsere Kanzlerin sind an Primitivität nicht zu unterbieten.“
Quadflieg scheute die klare Haltung nicht: „Das ist ja die Masche der AfD. Deren Politiker provozieren ständig und behaupten dann, ihre Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Oder sie erklären, dass man das ja wohl noch mal sagen dürfe. Sie wollen ihre verbale Verrohung auch noch decken durch die Meinungsfreiheit. Dabei beginnt die Verwahrlosung des Denkens mit dem falschen Gebrauch der Sprache.“
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Insbesondere galt Quadfliegs Verehrung dem Dichter Heinrich Heine: Jahrzehntelang bemühte er sich hartnäckig um die Rückführung eines Heine-Denkmals des Bildhauers Ludvig Hasselriis aus dem französischen Toulon nach Hamburg-Ottensen. „DENKmal (an) Heine“ hieß die Initiative, die von ihm auf den Weg gebracht wurde. Quadflieg forschte und korrespondierte unermüdlich nicht nur mit der Presse und direkt mit den wechselnden Bürgermeistern von Hamburg und Toulon, sondern machte auch die Urenkelin von Julius Campe, die Erbin der Heine-Statue, in Paris ausfindig. Das Denkmal am Ende tatsächlich an die Elbe zurückzuholen, gelang ihm nicht mehr.
„Es dunkelt schon, mich schläfert/ Der Tag hat mich müd’ gemacht.“ Am Sonntagmorgen ist Christian Quadflieg nach langer schwerer Krankheit im Alter von 78 Jahren und im Beisein seiner Familie in Hamburg gestorben.