Hamburg. Der Schauspieler Christian Quadflieg wurde als Landarzt berühmt, nun jedoch verhilft er alten Dichtern zu neuer Popularität.
Ob man eigentlich etwas über die größte Versuchung von Sasel wisse, fragt Christian Quadflieg. Nein, aber man kann sich gut vorstellen, dass er sich damit auskennt. Der Schauspieler, der 1977 Nastassja Kinski im legendären „Tatort – Reifezeugnis“ verführen durfte. Der Rezitator, der bei seinen Lesungen Goethes Beziehungen zu Frauen beleuchtet. Der Romantiker, der seine spätere Frau Renate zum ersten Mal als Minna von Barnhelm auf einer Bühne in Wuppertal sah und ohne sie zu kennen beschloss, sie heiraten zu wollen.
Quadflieg scheint als Fortgeschrittener in Sachen Verführung, und so geht er zielstrebig den Waldring entlang und biegt dann ab in einen kleinen Hinterhof: „Da ist sie, die Verführung von Sasel.“ Keine verruchte Bar, kein Dessous-Laden, sondern ein kleines Geschäft namens „Die Ise“. Verschiedene Schokoladenköstlichkeiten werden hier in einer kleinen Manufaktur hergestellt. Quadflieg schwört auf eine Praline mit Calvados, er mag es, das Feurige, das Köstliche – die Schokoladenseiten im Leben.
Den Namen verdankt das Geschäft seiner Eppendorfer Herkunft: 2001 begann Inhaberin Christiane Welschlau auf dem Isemarkt ihre Schoko-Kreationen anzubieten. Inzwischen hat sich die Pralinenmacherin einen solchen Ruf erarbeitet, dass die Kunden zu ihr in den Norden rausfahren. So verführt Sasel also die Leute dazu, zu sich zu kommen: mit Süßigkeiten – und mit viel Grün.
In diesem Stadtteil gibt es viel Platz für Hollywood-Schaukeln und Hüpfburgen
Wie die meisten anderen Walddörfer ist Sasel ein Stadtteil zum Wohnen, nicht unbedingt zum Arbeiten. Es gibt keine großen Unternehmen, dafür viel Platz für Hollywoodschaukeln und Hüpfburgen. Auch Christian Quadfliegs Garten könnte locker Gastgeber eines Fußballspieles sein. Allerdings würden verschmutzte Stollenschuhe ganz schlecht zur Inneneinrichtung seines Hauses passen: die Fliesen, der Teppich, die Wände, das Sofa, der Kamin, die Vorhänge – alles weiß. An den Wänden hängen Bilder des Künstlers Reiner Wagner. Quadflieg ist ein Fan seiner Aquarelle, die für ihn wirken, „wie wenn man ein Fenster öffnet, und es kommt frische Luft herein“.
Ein Motiv zeigt den Starnberger See. 17 Jahre lang lebten die Quadfliegs in Bayern. Doch dann meldete der dortige Vermieter Eigenbedarf an, und das Paar zog 1992 in die Stadt, in der Quadflieg aufgewachsen war: Hamburg. Konkret Sasel, denn von dort sind es nur 15 Minuten zu den wichtigsten Anlaufadresse des Schauspielers: dem Flughafen und dem Studio Hamburg, wo Quadflieg unter der Federführung der Trebitsch-Filmproduktion einen Film nach dem anderen dreht: Er ist der Michael Sonntag in der Serie „Sonntag und Partner“. Dann spielt er „Anwalt Martin Berg“ und schließlich „W.P. Anders, Jugendgerichtshelfer“.
In den 80ern und 90ern ist Quadflieg ein echter Fernsehstar. Er wird erkannt, er wird hofiert, er wird konsultiert: „Herr Doktor, können Sie mir helfen?“, hört er nicht selten, denn alle kennen ihn aus der ZDF-Serie, die ihn berühmt gemacht hat: „Der Landarzt.“ Dr. Karsten Mattiesen gehört zu der Sorte TV-Ärzte, von denen man sich auch behandeln lassen würde, obwohl man weiß, dass sie gar keine richtigen Mediziner sind.
Von 1986 bis 1992 spielt Quadflieg die Rolle; viel eher will er aussteigen, ursprünglich waren nur 13 Folgen geplant, aber er wird immer wieder von den ZDF-Verantwortlichen zum Weitermachen überredet, darf auch Regie führen. Doch dann schafft er endlich den Absprung und stirbt den Serientod. „Wäre ich noch länger ,Der Landarzt‘ gewesen, dann hätte ich nur noch Medizin studieren können“, sagt Quadflieg. 20 Fanbriefe täglich erhält der Landarzt noch lange nach seiner Präsenz als Doktor auf dem Bildschirm. Jedes Wehwehchen wird ihm mitgeteilt, und Quadflieg kann nichts anderes antworten als: „Ich wünsche Ihnen und Ihrer Gesundheit, dass Sie niemals wirklich von mir behandelt werden müssen.“
Wenn Quadflieg heute durch Sasel geht, wird er nicht mehr von jedem erkannt. Inzwischen muss er seinen Nachnamen wieder buchstabieren. Traurig scheint der 68-Jährige nicht unbedingt über seine raren TV-Verpflichtungen, denn er hat sich ein zweites Standbein aufgebaut: Dichterlesungen. Mehr als 600 hat der Lyrik-Fan bislang gehalten. Mit einem Vortrag über Wilhelm Busch gastierte Quadflieg zuletzt im Februar in der Parkresidenz Alstertal, und auch im schmucken Sasel-Haus, einem umgebauten Kuhstall aus dem Jahr 1830, wo heute das kulturelle Herz des Stadtteils schlägt, tritt er immer mal wieder auf. Als Nächstes wird Quadflieg im Winderhuder Fährhaus ein Gastspiel geben. „Jetzt bin ich mein eigener Herr, und wenn was daneben geht, dann liegt die Schuld alleine bei mir“, sagt Quadflieg, der auch CDs einspielt wie zum Beispiel „Die Kreutzersonate“ mit dem Quartett des „Ensemble Resonanz“.
Er sei altmodisch, gibt er zu. Das Tempo, in dem heute für das Fernsehen gedreht werde, empfinde er als wenig förderlich für die Kreativität. Und dann zitiert er Erich Kästner: „Wer was zu sagen hat, hat keine Eile. Er nimmt sich Zeit, und sagt’s in einer Zeile.“
Die Besonderheiten Sasels lassen sich nicht in einer Zeile erzählen. Es gibt viel, das überrascht. So führt beispielsweise ein Stück des deutschen Jakobswegs über Saseler Gebiet. Es sind zwar nur 480 Meter verteilt auf zwei Abschnitte (einmal ab der Mellingburger Schleuse und einmal vor der sogenannten Löwenschlucht), aber immerhin. Auch findet sich in Sasel die einzige deutsche Gedenkstätte für Franz Schubert. Die Verbindung zu dem Wiener Komponisten besteht seit 1928. Damals nahm der Männerchor Salia, gegründet 1922 in Sasel, in Wien am Deutschen Sängerbundfest teil und gewann mit Schuberts Lied „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum“ eine Medaille. Die Chormitglieder hatten daraufhin die Idee, mitten in Sasel eine Linde zum Gedenken an den großen Künstler der Romantik zu pflanzen.
In den folgenden Jahren trafen sich die Männer oft unter dem Baum, um dort für die Saseler zu singen. Die Dorflinde wurde zum Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens. Doch diese Geschichte geriet wie viele andere Traditionen langsam in Vergessenheit. Einer der Gründe, warum sich der Heimatverein Unser Sasel e.V. gründete.
Sein erstes Projekt bestand 2006 darin, den Platz rund um die Schubert-Linde hübscher zu gestalten. Man beauftragte den Bildhauer Thomas Darboven, einen Gedenkstein für Schubert anzufertigen. Der Hamburger entwarf bereits viele öffentliche Plätze in der Stadt, unter anderem den Brahmskubus und den Brahms-Platz vor der
Laeiszhalle. Für Sasel hatte er sich etwas Besonderes vorgenommen: ein Porträt Schuberts auf einem Findling, das auch ohne Unterschrift identifiziert werden könne. Wochenlanges Schleifen war nötig, denn bei dem Stein handelt es sich um die härteste Granitart. Jetzt liegt der schwarze, schwere Stein unter dem Baum, und mit ihm wurde auch die Tradition des Singens unter der Linde wiederbelebt. Kleiner Unterschied zu früher: Heute singen auch Frauen mit.
Ein Linden-Baum wurde zum Symbol für erfolgreichen Protest
Der Schubert-Linde-Platz stellt nicht nur eine Verbindung zur Vergangenheit dar, sondern für viele Saseler hat der Baum einen Symbolcharakter. Er steht für erfolgreichen Protest und dafür, sich nicht zertrennen lassen zu wollen. Als der Senat plante, den Ring 3 vierspurig über den Saseler Markt hinaus auszubauen, verhinderte eine Stadtteilinitiative dieses Vorhaben. Die Saseler hatten schon damals das Gefühl, mit Autos überschwemmt zu werden, und befürchteten, dass die Straße das Ende des dörflichen Charakters Sasels und eine Zerteilung des Stadtteils bedeuten würde. Der erfolgreiche Kampf gegen den Ausbau hat das Heimatgefühl der Saseler gestärkt. Und darin liegt der größte Unterschied zu Szenestadtteilen wie beispielsweise der Schanze: Viele wollen dort wohnen, aber die wenigsten fühlen sich dort zu Hause.
Die Saseler pflegen ihre Gemeinschaft. Es gibt 40 verschiedene Vereine und Institutionen, und zweimal im Jahr findet eine Stadtteilkonferenz statt, bei der alle Probleme auf den Tisch kommen. Aktuell wird die Neugestaltung des Saseler Markts diskutiert. Lange war man sich uneins, wie Markplatz und die Einkaufsstraße Saseler Markt bestenfalls aussehen sollten. Manche fordern das Areal komplett autofrei, andere sehen dadurch den Bestand der Einkaufsmöglichkeiten gefährdet. Derzeit scheint es auf einen Kompromiss hinauszulaufen, nachdem die Anzahl der Plätze von 106 auf 90 reduziert wird.
Der Plan ist, so viel Komfort und so viel Kaufkraft wie möglich in Sasel zu behalten. Ortsnah denken, ortsnah handeln. Es gibt viele Geschäfte mit einer langen Geschichte wie das Bettenhaus Benke, das Fischhaus Sasel oder den Floristen Blumen Mardt. Das nicht weit entfernte AEZ, das beim Bau 1972 viele Proteste hervorbrachte, ist inzwischen mehr als akzeptiert. Es scheint zu funktionieren, das Nebeneinander verschiedener Anbieter. Im AEZ die großen Ketten, in Sasel selbst die Fachhändler und Spezialisten.
Nur dass die Bücherhalle von Sasel ins AEZ abwanderte, darüber ärgern sich auch heute noch viele Bürger. Denn einen Buchladen hat Sasel nicht, der würde genauso wenig funktionieren wie ein Schuhgeschäft. Beide bräuchten eine Mindestgröße, um genug Umsatz zu machen, doch die vorhandenen Ladenflächen in Sasel sind ausnahmslos klein. Es kann zwar nicht bis auf den Millimeter ausgemessen werden, aber gefühlt befindet sich hier beispielsweise der kleinste Budnikowski Hamburgs. Während man in der Innenstadt auf Fragen, wo sich denn dieses oder jenes befände, meist ein Ackselzucken erntet, wird einem hier das Produkt gebracht, erklärt und liebevoll eingepackt.
Bei Edeka gibt es außerdem freitags einen kostenlosen Fahrservice für Senioren zum Einkaufen. Wer erleben möchte, was genau sich eigentlich hinter dem Slogan „Der Kunde ist König“ verbirgt, dem sei ein Ausflug nach Sasel empfohlen. Hier beherrschen die Einzelhändler noch die selten gewordene Kunst des Service.
Seit Jahren kämpft Quadflieg dafür, ein Heine-Denkmal zurückzuholen
Was Quadflieg beherrscht: das Dranbleiben. Nachhaken, nicht locker lassen, immer wieder neue Anläufe nehmen. Seit nunmehr zwölf Jahren setzt er sich dafür ein, ein Heinrich-Heine-Denkmal, das von 1909 bis 1936 in Hamburg stand und sich heute im französischen Toulon befindet, wieder nach Hamburg zurückzuholen. Dafür wühlt er sich durch Akten, sucht europaweit nach Nachfahren und beschäftigt sich in jeder freien Minute mit der Geschichte Heines. „Abenteuerlich und voller Kopfschütteln“, sei das gewesen, was er bislang bei seinem Vorhaben erlebt habe, erzählt Quadflieg. Aber so ist das mit Vergangenheit, man weiß nie, welche Story hinter der nächsten Jahreszahl wartet.
In puncto Unterhaltsamkeit kann sich auch Sasels Geschichte durchaus sehen lassen. Gegründet wurde es nämlich – nein, nicht von einem Norddeutschen – von einem Pfälzer. Es war ein langer und harter Weg von Bayern bis in den Norden, den der 1875 geborenen Julius Gilcher gehen musste. Als jüngstes von sieben Geschwistern wuchs der Junge bei seinen Großeltern auf. In der Volksschule zeigte sich bereits seine Begabung. Fiel der Lehrer mal aus, unterrichtete Gilcher seine Mitschüler. Doch Gilchers Kreativität manifestierte sich auch in einem Spottgedicht über den Lehrer, sodass er der Schule verwiesen wurde.
Es folgten zahlreiche unterschiedliche Stationen: Mit 18 wandert Gilcher für vier Jahre nach Afrika aus, kehrt jedoch mit Malaria zurück. Er verkauft Versicherungen in Kaiserslautern, drischt Getreide in Frankfurt, leitet ein Rittergut im heutigen Polen. In Berlin führt er eine Molkerei, doch als er sich weigert, die Tochter des Besitzers zu heiraten, ist auch diese Anstellung für ihn beendet. Julius Gilcher will nun nach Amerika auswandern. Er fährt nach Hamburg, um auf eine Passage nach Nord- oder Südamerika zu warten, doch es geht kein Schiff – und als es endlich in See sticht, hat Gilcher kein Geld mehr für die Überfahrt. Ein Rastloser, der nicht los darf, sondern in Hamburg festhängt: Ohne ihn gäbe es kein Sasel. Durch einen alten Afrika-Kontakt bekommt Gilcher eine Stelle bei der Deutschen Seewarte, und als er dann 1902 im Botanischen Garten seine spätere Frau Anna kennenlernt, steht fest: Er wird in Hamburg bleiben. Dann aber richtig.
Als der Saselhof des Gutsbesitzers Konrad Reuter zum Verkauf steht, gründet Gilcher den Eigenheim-, Siedlungs- und Sparverein, um den Kauf finanzieren zu können. 1,32 Millionen Mark bringt niemand so schnell alleine auf. Also wird die Ansiedlung von Menschen im Alstertal eine gewaltige Teamleistung und läuft anders ab als etwa in den noblen Nachbarorten Wellingsbüttel und Poppenbüttel, wo die Erschließung der Gegend stark mit der Alsterthal-Terrain-Actien-Gesellschaft (ATAG) zusammenhängt. Julius Gilcher lehnt jegliche Bodenspekulationen ab.
Um 1920 lässt er das Land des ehemaligen Saselhofs aufteilen: 574 Parzellen, alle zwischen 1800 und 3000 Quadratmetern groß. Die Grundstücke werden an wenig betuchte Mitbürger verkauft, die sich vor Ort als Selbstversorger betätigen sollten. Keine so leichte Sache, denn viele Großstädter konnten eine Kartoffelstaude nicht von einem Kirschbaum unterscheiden und hatten erst mühsam zu lernen, dem Land mehr als nur Unkraut abzuringen. Es muss zu lustigen Szenen zwischen den wenigen alteingesessenen Bauern in Sasel und den Neuen ohne Ahnung von Landwirtschaft gekommen sein.
Ohne die Hartnäckigkeit eines Bayern wäre hier gar nichts entstanden
Auch ein anderes Problem tauchte auf: Jeder Siedler, dem eine Parzelle zugewiesen wurde, wollte sobald als möglich bauen, doch den meisten fehlte das Geld. Gilcher klapperte daher die Reichsfinanzbehörde, die Landesbank in Kiel, das Reichsarbeitsministerium und das Preußische Wohlfahrtsministerium ab. Als man ihn dort einmal vertrösten wollte, blieb er so lange sitzen, bis er das gewünschte Darlehen erhielt. Ohne Julius Gilchers Hartnäckigkeit wären nur wenige Häuser entstanden. 1920 wohnten 700 Menschen in Sasel, das von den Hamburgern als Bauerndorf weit draußen im Norden angesehen wurde. 1925 lag die Einwohnerzahl immerhin schon bei 1883. Der Ort kann mit Stolz von sich behaupten, zu der Zeit als der politisch gesehen am weitesten links stehende des Alstertals gegolten zu haben, in dem die Nazis zunächst kaum Unterstützung fanden. Doch 1944 richteten die Nazis am Feldblumenweg eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme ein, an das heute ein Gedenkstein am Feldblumenweg erinnert. Nach dem Krieg flüchteten viele ausgebombte Hamburger ins unzerstörte Sasel, sodass die Einwohnerzahl im Jahr 1950 auf 14.000 angestiegen war. Gilcher selbst wohnte ab 1921 am Heideweg 7. Für seine Verdienste wurde der Städtebauer kurz vor seinem 80. Geburtstag von Bundespräsident Theodor Heuss mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Und der Heideweg wurde zu seinen Ehren zwei Jahre nach seinem Tod 1957 in Gilcherweg umbenannt.
Heute leben 24.500 Menschen in dem Stadtteil, der eine interessante Altersstruktur hat: Es ziehen immer mehr Alte und immer mehr junge Familien zu. Durch zahlreiche Grundstücksteilungen wurde viel Wohnraum geschaffen, nicht immer zur Begeisterung aller, aber Familien mit Kindern kommt diese Entwicklung zugute. Und das hat positive Auswirkungen für Sasel: Vor sieben Jahren beispielsweise wusste man nicht, was aus den Grundschulen werden würde; zu wenig Anmeldungen. Heute sind die ersten und zweiten Klassen teilweise fünfzügig.
Das Angebot für Familien ist groß – und günstig: Sonnabends zahlen Kinder im Restaurant Forum Saselhof nur die Hälfte, wenn auch die Eltern etwas essen. Am ersten Ostertag fand auf dem neu gestalteten Spielpark im Saseler Park eine der größten Ostereiersuchen Hamburgs statt. Die vielen freiwilligen Hasen beschenkten um die 400 Kinder. An vier Nachmittagen in der Woche öffnet der Kinderleseclub. 2000 Bücher für drei Euro Mitgliedschaft im Jahr, so preiswert wird die Magie der Wörter selten vermittelt. Es gibt viele verschiedene Events. Unter anderem hat Christian Quadflieg dort schon mal mit den Kindern einstudiert, wie man eine Geschichte vorliest.
Sich und seine Kollegen motivierte der Schauspieler: „Für den einen!“
Er mag es, das Arbeiten mit Kindern. Wenn man es denn überhaupt Arbeit nennen kann. Einmal hielt der Rezitator eine Goethe-Lesung an einem Gymnasium in Quickborn. Einige Schüler hatten geschwänzt, weil sie sich nichts Langweiligeres vorstellen konnten als einen Vortrag über einen toten Dichter. Aber sie ahnten nichts von der Kunst des Christian Quadflieg, alte, verstaubte Zeilen so zu präsentieren, dass sie plötzlich so modern und aktuell wirken wie Texte von Cro oder Fettes Brot. Jedenfalls hatte Quadfliegs Performance wohl Eindruck hinterlassen, denn am nächsten Tag rief ihn eine Schülerin des Gymnasiums an und fragte, ob er nicht noch mal kommen wolle. Die anderen würden ihn jetzt doch so gerne erleben, und sie würden sogar jeder zwei Euro bezahlen.
„Dafür!“, sagt Quadflieg und schaut belustigt. Dafür macht er das, was er macht. So war es schon früher am Theater. Wenn alles mühsam erschien, wenn man kaputt war am Ende einer Tournee und eigentlich ins Bett gehört hätte, aber noch gefühlt hundert Auftritte vor einem lagen. Dann motivierte Quadflieg sich und seine Kollegen gerne mit dem Satz: „Für den einen!“ Denn immerhin könne es ja sein, dass unter den Zuschauern einer säße, der durch die Vorstellung plötzlich zur Literatur, zur Poesie, zum Theater gebracht würde. Für den einen potenziellen Unbekannten gaben sie dann alles.
Wie viele Eine wohl durch Quadflieg die Liebe zum Schauspiel und zur Sprache entdeckten? Der Verführer von Sasel, er weiß es nicht, aber es werden wohl mehr sein, als in eine Pralinenbox passen.
Wer den Künstler live erleben möchte:
Am 1.11. will er wieder in der Komödie im Winterhuder Fährhaus auftreten (sein 24. Gastspiel dort).