Hamburg. Chanson-Kabarettist Johannes Kirchberg hat sich dem Hamburger Dichter neu genähert. Am Sonntag hat er „mit Leip und Seele“ Premiere.
Krisen und Kriege bringen vieles mit sich. Leid, Flucht, Hass, Tod, sinnlose Zerstörung, aber auch Soldatenlieder. „Lili Marleen“ ist solch ein Werk, ein deutsches Lied, jedoch das meistübersetzte des 20. Jahrhunderts. Obwohl „Lili Marleen“ 1941 als Erkennungsmelodie des deutschen Senders Radio Belgrad im besetzten Jugoslawien ertönte. Interpretiert von Lale Andersen, wurde es in Norbert Schultzes Fassung zum ersten deutschen Millionen-Schlager, international dann dank Marlene Dietrich zu einem „Schicksalslied“ des Zweiten Weltkriegs. Sie sang von dem Leid eines durch den Krieg getrennten Paares erstmals 1944 vor alliierten Truppen auf Englisch.
Aber wer hat das Lied eigentlich geschrieben? Und wann? Das fragte sich auch Johannes Kirchberg, der wie so viele „Lili Marleen“ vom Hören kannte, mehr jedoch nicht. Als dem seit einem Jahrzehnt in der Freien und Hansestadt lebenden Chanson-Kabarettisten aus Leipzig bewusst wurde, dass der ursprüngliche Komponist und Texter Hans Leip (1893– 1983) ein Hamburger war, „da war es um mich geschehen“, bekennt Kirchberg.
Hans Leip – mehr als nur der Schöpfer von „Lili Marleen“
Während der Corona-Lockdowns mit ihren Zwangspausen trieb der historisch interessierte und literarisch bewanderte Kleinkünstler seine Recherchen voran, kulminierend in seinem neuen Soloabend „Lilli Marleen oder mit Leip und Seele“. Er hat am kommenden Sonntag auf dem Theaterschiff Premiere. Dort hat Kirchberg bereits Autoren wie dem Dresdner Erich Kästner oder dem Hamburger Wolfgang Borchert eigene Programme gewidmet, „Kästner blieb wie Leip in der Nazi-Zeit in Deutschland. Und Borchert spielte Texte von Hans Leip in seinem Stück ,Jan Maaten‘, wofür ihn Leip sehr schätzte“, hat Kirchberg herausgefunden.
Für ihn ist verwunderlich, „dass Leip in Hamburg kaum auf Interesse stößt“. Schließlich war der vor fast 130 Jahren im Stadtteil Hohenfelde geborene Sohn eines Seemanns und Hafenarbeiters später nicht bloß Schriftsteller, sondern auch Maler und Grafiker. „Er hat für mich ein Hamburg-Bild gemalt, aber eben auch eines mit Worten, das mich beeindruckt und das ich sehr liebe“, sagt Kirchberg. Die Geschichten um die Elbe, das Segeln, Blankenese, St. Pauli – all das sei für ihn „herzerfrischend“.
Hans Leips Urenkel Clemens Keller in Berlin ausfindig gemacht
Anno 2022 hat Kirchberg eine ungeahnte Aktualität in Hans Leips Werk wiedererkannt: „In Anbetracht der Bilder aus der Ukraine sind seine Beschreibungen von der Heimkehr in ein kriegszerstörtes Hamburg mit Elbbrücken, Nikolaifleet und der St.-Katharinen-Kirche bedrückend und eindringlich.“ Kirchberg, auch künstlerischer Leiter des Jola im Kulturhaus Süderelbe, hat sich im Altonaer Museum informiert, in Antiquariaten gefragt und einen Holzschnitt Leips erstanden.
Das Spannendste und für Kirchberg Erfreuliche ist, dass er Leips Urenkel Clemens Keller in Berlin ausfindig gemacht hat und von ihm die ausdrückliche Genehmigung erhielt, die Leip-Gedichte neu zu vertonen. „Alles, was man an Liedern mit Leip-Texten und vor allem der Musik von Norbert Schultze vielleicht kennt, ist jetzt mit meinen Melodien neu zu erleben und zu entdecken“, sagt Kirchberg.
Johannes Kirchberg hat sich dem Hamburger Dichter neu genähert
Und so kann der versierte Sänger und Pianist in seinem Soloprogramm vergessenen Geschichten und Erzählungen rund um Meer, Seefahrt und Liebe eigene Note geben. Auf dem „Schiff“ möchte Kirchberg anhand von Leips Biografie auch Einblicke ins Hamburg der 1920er-Jahre und die entbehrungsreiche Zeit danach liefern. Lieder wie „Alte Liebe“, „O Jonny“, „Muschemusch“, aber auch das ergreifende „Lied im Schutt“, das in der später verbotenen Satire-Zeitschrift „Simplicissimus“ erschien, hat er im Repertoire. Und natürlich „Lili Marleen“ – nun gleich in drei Versionen, darunter seiner eigenen.
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Der Dichter Leip hatte die ersten drei Strophen des Textes – mit der danach weitgehend in Vergessenheit geratenen Melodie – übrigens als 22-Jähriger im Ersten Weltkrieg geschrieben, vor seiner Abfahrt an die russische Front 1915. Zwei weitere Strophen fügte Leip später für die Veröffentlichung als „Lied eines jungen Wachpostens“ in der Gedichtsammlung „Die kleine Hafenorgel“ (1937) hinzu.
Hans Leip – mehr als nur der Schöpfer von „Lili Marleen“
Johannes Kirchberg will im nächsten Jahr, zum 40. Todestag des an seinem Alterssitz im Schweizer Kanton Thurgau gestorbenen Leip, eine CD mit seinen Liedern herausbringen. Auch wenn er damit im Gegensatz zu „Lili Marleen“ und seinem Schöpfer wohl nicht unsterblich werden wird – Kirchberg hält die Erinnerung wach in diesen Wieder-Kriegszeiten.
„Lili Marleen oder mit Leip und Seele“ Premiere So 13.11., 18.00, auch 1.2.2023, 19.30, Theaterschiff Hamburg (U Rödingsmarkt), Holzbrücke 2, Karten zu 21,-bis 25,-: T. 69 65 05 60; www.theaterschiff.de