Hamburg. In „Legend of Wacken“ erzählen Charly Hübner und Aurel Manthei von den Anfängen des Kult-Festivals. Leider ist das kein Heavy Metal.
„Am Anfang war nur Acker“, und eigentlich ist gut 340 Tage im Jahr nur Acker in einem kleinen Dörfchen bei Itzehoe in Schleswig-Hostein. Aber vom 2. bis zum 5. August ist es nach wochenlangem Aufbau wieder so weit: Iron Maiden, Kreator, Megadeth, Doro, knapp 200 weitere Bands und 85.000 Fans vereinen sich zum Wacken Open Air, einem der größten Metal-Festivals der Welt.
Wer dort zwischen den neun Bühnen bangt, ballert und brüllt, wird kaum glauben, dass hier im Premierenjahr 1990 keine 800 Metalfans in einer Kiesgrube vor einer wackeligen Bühne standen und sechs Bands zuprosteten. Aber so war es, wie die Serie „Legend of Wacken“ vom 7. Juli an auf dem RTL-Streamingkanal RTL+ erzählt.
„Legend of Wacken“: Zwei Außenseiter gründen das heutige Kult-Open-Air
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden bis heute aktiven Festivalgründer Holger Hübner und Thomas Jensen, zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten mit einer gemeinsamen Leidenschaft: Metal! Iron Maiden, Judas Priest, Slayer, Motörhead, Saxon. Alles andere, Foreigner (zu Gast in Wacken 2016) zum Beispiel, ist für die beiden im Jahr 1990 „Pussyrock“. Im beschaulichen Wacken und in den umliegenden Gehöften, in der Dorfkneipe oder auf der Partywiese der örtlichen Bikergang sind die beiden und ihre Kumpels Außenseiter. Umso enger halten sie zusammen.
Um die Songs ihrer Idole auch selber zu spielen, gründet Thomas Jensen (gespielt von Sebastian Doppelbauer) die Band Skyline, Holger Hübner (Sammy Scheuritzel) kümmert sich um Marketing, Vertrieb und Booking. Aber nachdem alle Nachbargemeinden abgeklappert sind und das Heimspiel in Wacken floppt, soll alles faster, harder, louder werden. Mit einem eigenen Festival. Der Weg dahin ist allerdings gesäumt von zweifelnden Kreditgebern, skeptischen Bauern, mehr oder weniger schlagfertigen Motorradrockern – und dem einen oder anderen Bierchen.
„Legend of Wacken“: Das neue Werk des „Dorfpunks“-Regisseurs
Das ist, bei aller Freiheit, die sich die Regisseure Lars Jessen und Jonas Grosch und das Drehbuchteam mit Lennard Eberlein, Ingo Haeb, Julia Meyer und Frank Schulz nehmen, der weitgehend gelungene Teil von „Legend of Wacken“. Wie bei Jessens ähnlichen Zeitreisen in 80er- und 90er-Musikkulturen wie „Dorfpunks“ und „Fraktus“ stimmen Ausstattung, Look, Kostüme und Soundtrack, vom Sparclub-Kasten in der Kneipe bis zum Helmut-Kohl-Wahlplakat am Wegesrand.
Leider begnügt sich die Serie aber nicht damit, einfach in Nostalgie zu schwelgen. Eine zweite Zeitebene spielt im Jahr 2022: Holger Hübner, hier verkörpert vom nicht verwandten Charly Hübner, greift beim Festival-Start an das falsche Kabel und liegt anschließend im Krankenhaus im Koma. Die Ärztin rät dem verzweifelten Thomas Jensen (Aurel Manthei), Hübners Unterbewusstsein anzuregen, zum Beispiel mit Geschichten ihrer Freundschaft – sprich Wacken. Wackööön!
„Legend of Wacken“: Metalheads werden als dauerbesoffene Kasper dargestellt
So springt „Legend of Wacken“ oft sehr willkürlich zwischen den Zeitebenen. Dazu kommt noch eine Zwischenwelt, aus der Hübners Seele das Geschehen verfolgt. Dann und wann wird er dort vom 2015 gestorbenen Motörhead-Boss Lemmy Kilmister (Andy Murray) besucht, der ihm sehr deutlich klarmacht, dass er endlich zur Hölle fahren soll.
Zu bemüht wirkt oft die Verknüpfung der Zeitebenen, und der Humor ist trotz des gut getroffenen norddeutschen Slangs leider alles andere als trocken. Es wird natürlich auch im wirklichen Wacken-Leben so hart gesoffen, dass Schlucker-Ikone Lemmy respektvoll seinen Hut ziehen würde. Aber die ständige Abfolge aus Bier und Schnaps reinzuschütten und wieder rauszureihern, nervt in ihrer unreflektierten Kritiklosigkeit. Die Serie macht damit genau den gleichen Fehler wie die unzähligen Reportagen in Zeitungen, Magazinen und TV-Formaten: Metalheads werden als dauerbesoffene Kasper und Zivilversager dargestellt.
„Legend of Wacken“: Die Faszination Metal kommt nicht rüber
Aber ist Metal nicht mehr, als sich die Batterie abzuklemmen, einen in die Rüstung zu römern und danach nicht zu kotzen, sondern geradezu zu kalben? Was macht die Leidenschaft aus, zu „Breaking The Law“ von Judas Priest im klapprigen Bulli durch die Feldmark zu zuckeln und vor drei Gästen „Run To The Hills“ von Iron Maiden zu spielen? Warum greift man zu Gitarre, Bass, Trommelstöcken? Warum bricht man aus einem strengen Waisenhaus aus, um für 6 Euro (Wacken 1990, umgerechnet) oder 299 Euro (Wacken 2023) tagelang in Schlamm und Staub zu moshen?
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Freiheit, Freundschaft, Gemeinschaft, Ausbruch, Erlebnishunger, Hingabe: Diese sechs und sechshundertsechzig weitere Elemente des Lebensstils Heavy Metal bleiben zu oft im Hintergrund, mehr als den Ausruf „Metal ist die Macht“ gibt es kaum als Erklärung – und trotzdem haben die Folgen ihre Längen.
„Legend of Wacken“: Besetzung, Ausstattung und Soundtrack sind klasse
Dabei bleibt viel Potenzial auf der Strecke. Die Besetzung zum Beispiel ist aller Ehren wert. Aurel Manthei und vor allem Charly Hübner gleichen ihren realen Vorbildern in Optik und Gestik derart beeindruckend (trotz Holger Hübners radikaler Gewichtsabnahme vor einigen Jahren), dass sie bei den Dreharbeiten auf dem Wacken Open Air 2022 mehrfach mit den richtigen Veranstaltern verwechselt wurden. Auch Bauer Uwe Trede, gestorben 2021 und vielleicht der drittwichtigste Mann hinter der Festival-Erfolgsgeschichte, scheint wieder auferstanden zu sein. Sammy Scheuritzel als junger Hübner hat eine unfassbare Präsenz.
Aber insgesamt näht sich „Legend of Wacken“ zu viele Aufnäher auf die Metalkutte: Biografie und Musikfilm, Dokudrama und Komödie, Coming of Age und Fantasy: Die Serie ist wie ein Mixtape mit Iron Maiden, Judas Priest, Slayer, Motörhead, Saxon – und Foreigner. Und Udo Jürgens. Eine Mischung aus „Werner – Beinhart“ und „This Is Spinal Tap“. Von allem viel zu viel. Oder um einen anderen „Werner“-Filmtitel zu bemühen: Gekotzt wird später.
„Legend of Wacken“ ab Fr 7.7. auf RTL+, 6,99 Euro pro Monat