Hamburg. „Eine Stadt sieht einen Film“ mit Palminger, Strunk und Schamoni: Die fiktive Techno-Band ist fast wie echt.
Während im neuen Schanzenkino 73 gerade der Film „Fraktus“ läuft, sammeln sich draußen am Schulterblatt um halb zwölf die Fraktus-Hardcore-Fans zur Drehort-Tour. Eine ganze Busladung voll ist gekommen – in jedem Alter, sogar ein Baby ist dabei –, um mit „Fraktus“-Regisseur Lars Jessen und Kameramann Piet Fuchs zusammen noch mal die legendären Locations abzuklappern, die in dem Film eine Rolle spielen. Schanzenkino-Betreiber Dirk Evers verteilt Lunchpakete. „Wir lassen es mal auf uns zukommen“, sagt Piet Fuchs. „Es darf auch schon getanzt werden.“
„Eine Stadt sieht einen Film“, ein gemeinsames Event der Hamburger Programmkinos. Dieses Jahr ist „Fraktus“-Kinotag. Den ganzen Sonntag lang touren Mitglieder des früheren Filmteams durch Programmkinos, erklären und erzählen und diskutieren. Für Einsteiger: Der Film über die hürdenreiche Wiedervereinigung einer fiktiven Techno-Band spielt in Hamburg und auf Ibiza. „Fraktus“ (2012) wurde nicht bloß eine saukomische Pseudo-Doku über das Musikbiz, sondern ist inzwischen ein ganzes Medienuniversum – mit echten „Fraktus“-Musikalben, Konzerten, Fantasie-Instrumenten, Legenden und den drei ungemein umtriebigen Protagonisten Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger. Die kommen auch noch, aber später.
Geballtes Hintergrundwissen
Erster Stopp der Drehort-Tour: das Cafe Konak am Kleinen Schäferkamp, im Film das Internetcafe Surf ’n’ Schlurf des glücklosen Fraktus-Musikers Dickie Schubert (Schamoni). Piet Fuchs hat tatsächlich einen Plattenspieler (!) mitgebracht und legt im Bus auf, natürlich auch „Fraktus“-Titel wie „Affe sucht Liebe“ und „Welcome to the Internet“. Das Baby beschwert sich, gibt dann aber auf. Nächster Stopp: das Parkhaus am Rödingsmarkt, in dem die Fraktus-Musiker am Filmende doch noch ihr Reunion-Konzert feiern. „Wir hätten nicht gedacht, dass sich in dieser Rotunde ein derartiger Krach entwickeln würde“, sagt Regisseur Lars Jessen, „wir haben damals den ganzen Rödingsmarkt beschallt.“
Im Bus liefert er geballtes Hintergrundwissen. „Fraktus“ entstand als Gemeinschaftswerk über Jahre bei vielen Treffen mit Strunk, Schamoni und Palminger, die noch als Studio Braun Telefonstreiche machten. Lars Jessen, Cutter Sebastian Schultz und Piet Fuchs kannten sich schon von der Kölner Kunsthochschule für Medien. Das Team hatte 35 Drehtage, normal für einen Film, „aber wir haben danach noch Interviews aufgenommen. Außerdem wurden spontan noch jede Menge Einfälle eingearbeitet“. (Das mit den Einfällen wundert niemanden, der Studio Braun kennt.) Am Ende dauerte der Schnitt am längsten, zehn Monate. Piet Fuchs reicht sein Original-Drehbuch mit Notizen herum, es geht von Hand zu Hand wie eine Reliquie.
In Neumühlen stoppt der Tross vor der Film-Plattenfirma Award Records und in Bahrenfeld vor dem Imbiss, in dem Devid Striesow (als Roger Dettner) im Film total ausrastet und einen Dönerspieß klaut. Der türkische Imbissbesitzer Herr Ali freut sich über den Besuch. Er habe allen Verwandten, auch in der Türkei, die „Fraktus“-DVD geschickt, sagt er. Was die wohl gedacht haben? Striesow ist leider an diesem Sonntag nicht dabei, weil er in Saarbrücken als Kommissar Stellbrink einen „Tatort“ dreht. Quasi die logische Fortsetzung der „Fraktus“-Rolle.
Im Savoy-Kino wartet eine Ausstellung mit Fotos der „jungen“ Fraktus-Darsteller, die im Film die Band in ihrer Jugendzeit spielen. Zwei von ihnen, Marcus Engelhardt und Kenny-David Baehr, erzählen auf der Bühne, wie sie mit Choreograf Oliver Schwabe Tanzen wie in den 80ern übten – „war ganz schön komisch“. Ein Zuschauer will wissen: War es ein Problem, so viele Promis in den Film zu kriegen?
„Sehr speziell für Volksdorf“
Nein, sagt Regisseur Jessen: Von den Musikgrößen kamen kaum Absagen. Produzent Alex Christensen, H.P. Baxxter, Westbam, Marusha, Stephan Remmler und Jan Delay waren sofort zu parodistischen Interviews bereit. Den meisten fiel es allerdings schwer, bei ihren Takes bis zum Schluss ernst zu bleiben. „Und Blixa Bargeld wollte als einziger eine Maskenbildnerin.“
Eine Stunde später im Kino Koralle in Volksdorf hat Filmautor Christian Maintz zum Gespräch geladen. „,Fraktus‘ ist sehr speziell für Volksdorf“, meint er, nur 20 Zuschauer sitzen bei schönen Wetter im Saal. Einer will wissen: Wie lange dauerte es von der Idee bis zum fertigen Film? Alles in allem mehr als 13 Jahre, sagt Jessen grinsend.
Zweiter Teil ist in Planung
Am Abend stehen dann (fast) alle Film-Mitwirkenden zusammen auf der Bühne im ausverkauften Abaton-Kino. Immer noch glaubten viele Leute, dass die „legendäre Techno-Band Fraktus“ wirklich existiert habe, sagt Schamoni. Palminger wird auf seine Film-Krankheiten (Spreizniere, Betonhüfte) angesprochen und Strunk auf sein Film-Arschgeweih. Und jetzt verrät Regisseur Jessen, was viele Fans sich heimlich gewünscht haben: Ein zweiter Teil ist in Planung – „Fraktus against America“. „Wenn wir dafür ähnlich lange brauchen, sind wir 2025 fertig.“