Hamburg. Der Sänger sah das Hamburg-Konzert des US-Stars Beyoncé mit gemischten Gefühlen. Warum er mit seiner Tour ein dickes Minus machte.
- Sänger Wincent Weiss trifft den Chefredakteur des Abendblattes Lars Haider zum exklusiven Interview
- Im Gespräch geht es auch um seine Arena-Tournee, die am Ende ein dickes Minus einbrachte
- Themen sind auch die Liebe des Sängers zur Ostsee und zu Streaming-Diensten
Seine Arena-Tournee ist gerade zu Ende gegangen, sie war mit 120.000 Zuschauern ein großer künstlerischer Erfolg, wirtschaftlich aber ein Minusgeschäft. Warum das so war, erzählt Wincent Weiss („Feuerwerk“) in der heutigen Folge unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“, die live auf dem Mobilitätsfestival Hey/Hamburg in der Handelskammer aufgenommen worden ist.
Dort spricht der 30 Jahre alte Superstar auch über die vielen Jahre, in denen er von seiner Musik nicht leben konnte, über Ticketpreise, die nicht mehr normal sind und über das nächste Jahr, in dem er erst einmal Pause machen will. Zu hören ist das alles als Podcast unter www.abendblatt.de/entscheider.
Das sagt Wincent Weiss über …
… ein Leben voller Umzüge und die Liebe zur Ostsee: „Ich bin mittlerweile mehr als 20-mal umgezogen. Am Anfang meines Lebens viel mit meiner Mutter, die sehr lebhaft ist und ihren Job sehr abwechslungsreich gestaltet. Bis ich mit 16 Jahren von zu Hause ausgezogen bin, sind wir allein zwölfmal umgezogen. Ich habe das danach so weiter gemacht, weil ich immer dahin gezogen bin, wo ich gern sein wollte. Ich war in München, in Köln und Berlin, habe zwei Jahre nur in Hotels gelebt, bin aber immer wieder in den Norden, nach Schleswig-Holstein zurückgekommen, wo ich auch jetzt wieder lebe. Ich bin in der Nähe von Lübeck groß geworden, für mich ist die Ostsee der schönste Platz. Wenn ich nach Hause komme, werden die Füße in die Ostsee gesteckt, das ist meine Ankommens-Erdung. Ich mag die Lübecker Bucht bis hin nach Neustadt sehr.“
… eine Bully-Tour mit Johannes Oerding: „Johannes und ich standen während der Corona-Pandemie plötzlich wie alle anderen Künstler vor der Situation, dass wir nicht arbeiten konnten. Wir hatten es seit Langem geplant, mal gemeinsam und nur zu zweit Zeit miteinander zu verbringen, und das war dann der Moment. Ich habe einen Bully, mit dem sind wir durch Europa gefahren, haben oben im Zelt geschlafen. Hotels hatten zu, Restaurants hatten zu, wir haben irgendwie versucht, uns selbst zu verpflegen, und haben sogar rund um den Gardasee keine Menschenseele getroffen. Und es klingt zu cheesy, um wahr zu sein, aber es war so: Johannes hatte eine Gitarre dabei, und abends haben wir gemeinsam gesungen. Dabei ist auch der Song ‚Die guten Zeiten‘ entstanden. Aber wir haben vor allem gequatscht. Obwohl wir zwei Wochen unterwegs waren, sind uns die Gesprächsthemen nicht ausgegangen. Johannes ist wie ein großer Bruder für mich, er hat mich in die Musikbranche reingebracht und dort unter seine Fittiche genommen.“
… viele Jahre, die es mit seiner Musik nicht geklappt hat: „Alle Leute, die mich und meine Karriere kennen, sagen immer: Bei dir ging das superschnell, von null auf 100, erste Single gleich erfolgreich. Aber die fünf Jahre davor, in denen ich hauptberuflich 60 Stunden als Leiter eines Restaurants gearbeitet habe, wollte keiner das hören, was ich an Musik aufgenommen hatte. Ich habe trotzdem immer weitergemacht, weil das meine Passion war, und jede Gelegenheit genutzt. Meine ersten Auftritte waren nachts um zwei Uhr in Großraumdiskotheken, in denen ich zur Bespaßung des sehr angeheiterten Publikums zwei Songs singen durften. Wenn man etwas wirklich machen will, sollte man sich nicht zu schade sein, auch die einzelnen Schritte dafür zu gehen, ob es in einer Disco, einer Kneipe oder auf der Straße ist.“
Wincent Weiss: Streaming-Dienste vor allem für ältere Musiker „ein Segen“
… den ersten Plattenvertrag und seine Doppelrolle als Musiker und Unternehmer: „Ich habe damals, als der erste Plattenvertrag kam, sofort meinen Job gekündigt, weil ich dachte, dass ich mein Geld jetzt komplett mit der Musik verdienen könnte. Das hat dann aber gedauert, in der Übergangszeit, bis ich 24 war, musste ich mir immer wieder von Freunden Geld leihen, um über die Runden zu kommen. Meine Großeltern denken bis heute, dass ich keinen Job habe, und fragen sich, wie ich von der Musik leben kann. Meine Großmutter fragt mich immer wieder, wann ich denn eine Ausbildung oder ein Studium machen will. Die sehen nicht, dass aus dem, was ich tue, inzwischen ein Unternehmen mit vielen Mitarbeitern geworden ist. Bei der Tour, die gerade zu Ende gegangen ist, hatte ich 64 Mitarbeiter dabei. Zudem habe ich eine eigene Merchandising-Firma, die sich um 17 Künstler kümmert. Und so baut sich das Feld nach und nach auf.“
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… Streaming-Dienste, die ein Segen seien: „Früher haben sich alle Künstlerinnen und Künstler beschwert, als die ersten Streaming-Dienste auf den Markt traten. Heute muss man sagen, dass gerade ältere Künstler, die viele Songs geschrieben haben, davon profitieren. Die alten Platten kauft natürlich keiner mehr, aber dadurch, dass sie auf den Plattformen online verfügbar sind, kommen für die ganzen Werke wieder Tantieme rein. Gerade für Musiker, die keine Konzerte mehr spielen, ist das ein absoluter Segen. Ansonsten ist das Livegeschäft das Wichtigste.“
… die Lanxess-Arena in Köln, die bei seinen Konzerten viermal ausverkauft war: „Wir haben das erste Konzert seit Ausbruch des Corona-Virus in Europa gemacht hat. In der Lanxess-Arena in Köln saßen die Zuschauerinnen und Zuschauern in Plexiglasboxen, sie mussten in der Halle so weit voneinander entfernt platziert werden, dass statt 15.000 Besuchern nur 800 kommen durften. Wir haben vier Konzerte gemacht, und eigentlich kann ich sagen, dass ich viermal in der ausverkauften Lanxess-Arena gespielt habe, etwas, was ich wahrscheinlich nie mehr schaffen werde.“
Wincent Weiss’ Arena-Tournee endete mit sechsstelligem Minus
… seine Arena-Tournee, die mit 120.000 Zuschauern und einem sechsstelligen Minus endete: „Durch die Corona-Krise ist das Live-Geschäft in einer großen Krise. Die Kosten haben sich vervielfacht, was dazu führt, dass Tourneen oftmals unwirtschaftlich sind. Ich hoffe, dass wir wieder dahin kommen, wo wir vor der Pandemie waren und sich die Kosten regulieren, weil die leider den Endverbraucher direkt treffen. Die Eintrittskarten für Konzerte sind extrem teuer geworden. Ich habe die Karten für meine Tour vor Corona verkauft, damals haben sie mit allen Vorverkaufskosten 65 Euro gekostet. Aber meine Kosten sind durch all das, was in den vergangenen Jahren passiert ist, um den Faktor drei gestiegen. Das heißt, die Arena-Tournee war für mich ein großes Minusgeschäft. Früher war so etwas immer super, super wirtschaftlich und jetzt habe ich hoch sechsstellig aus privater Tasche draufgezahlt. Das erste Mal hatten wir bei so einer Tour insgesamt 120.000 Leute, und das erste Mal haben wir Verlust gemacht. Aber ich wollte die Tour unbedingt machen, die Menschen haben so lange darauf warten müssen. Und nächste Jahr mache ich eine Pause, und hoffe, dass sich die Preise dann bei meinen nächsten Konzerten wieder beruhigt haben.“
… die Preise für Popkonzerte, die zum Teil absurd sind: „Man fühlt sich als deutscher Künstler immer so ein bisschen degradiert, wenn man sieht, was die internationalen Stars an Preisen aufrufen. Ich war in der vergangenen Woche im Konzert von Beyoncé, und das Ticket hat 380 Euro gekostet, obwohl es kein wirklich besonderes war. Das Konzert war trotzdem ausverkauft, obwohl die Tickets im Schnitt 250 Euro kosteten und sich die Leute bei uns deutschen Künstlern immer beschweren, wenn wir mal zehn Euro mehr nehmen. Bei einem internationalen Star zahlen die Menschen die Preise offensichtlich, bei einem nationalen Star nicht. Das finde ich ein wenig schade.“
… die Bekanntheit, die man nicht tarnen kann und sollte: „Ich bin am Anfang, als ich bekannt geworden bin, viel mit Kapuze und Cappy rumgelaufen, aber dann fängt man an, sich ständig zu verstecken und zu gucken, wer einen erkennen könnte. Irgendwann wird man richtig paranoid. Ich habe es deshalb wieder sein lassen: Ich bin einfach Mucker, ich bin Wincent Weiss und muss damit leben, dass mich Leute ansprechen. Wenn man damit im Reinen ist, ist das viel besser, als sich zu verstecken. Die Menschen, die mich nach einem Foto fragen, sind die Menschen, denen ich all das, was ich machen darf, zu verdanken habe.“
Wincent Weiss bedauert, dass Selfies so wichtig sind
… Selfies, die Autogramme verdrängt haben: „Wenige Leute wollen noch Autogramme. Heutzutage ist das Foto das Größte, was man braucht, leider. Ich verstehe manchmal nicht, warum das Foto diese Wichtigkeit hat. Manche machen ein Selfie mit mir, haben mich vier Sekunden gesehen und kein Wort rausgekommen, weil sie so schüchtern waren, und schreiben dann in den sozialen Medien: ‚Bester Tag meines Lebens, lange mit Wincent Weiss gequatscht, war echt super.‘ Ich finde es schade, dass man in unserer heutigen Gesellschaft dieses Posting macht, nur um in seiner Außenwelt gut dazustehen. Wenn das Foto nicht so wichtig wäre, hätten Künstler und Fans ein entspannteres Leben.“
… Konzerte, die ohne Handys viel schöner sind als mit: „Ich finde es schade, dass viele Menschen in Konzerten das Handy nicht aus der Hand legen und den Moment einfach mal genießen können. Es ist genauso wie in Restaurants, ich sag gern: Leute, esst das Essen doch einfach, anstatt es aus allen möglichen Perspektiven so lange zu fotografieren, bis es kalt ist. Ich finde, man sollte nicht bei Konzerten, sondern allgemein im Leben da sein, zuhören und die Erinnerung speichern und nicht etwas filmen, was man sich zu Hause sowieso nicht wieder anguckt. Die eigene Erinnerung und Erfahrung sind leider nicht mehr ganz so wichtig, wie sie es früher einmal waren.“
… sein Auto als mobiles Wohnzimmer: „Ich liebe Autofahren, denn das ist die Zeit, in der ich für mich allein sein kann, das funktioniert in der Bahn leider nicht. Ich habe den ganzen Tag Unmengen von Leuten um mich herum, spiele Konzerte vor Tausenden Leuten. Das Auto ist dann meine einzige Ruhezone, mein mobiles Wohnzimmer und der Ort, an dem ich wirklich machen kann, was ich will. Wenn ich das Reisen auch noch teilen würde mit anderen Menschen, wäre mir das zu viel. Deshalb bin ich im Jahr rund 90.000 Kilometer mit dem Auto zurück, inzwischen natürlich elektrisch.“
Wincent Weiss: Darum wird es 2024 weder ein Album noch ein Konzert geben
… das lineare Fernsehen: „Ich finde nach wie vor, dass lineares Fernsehen wichtig und groß ist, weil viele Leute es noch schauen. ‚The Voice Kids‘ ist für mich eine der schönsten Fernsehsendungen, die ich machen darf. Ich wollte mal Kindergärtner werden, und jetzt darf ich diesen Wunsch mit der Musik verbinden. Aber auch ‚Sing meinen Song‘ hat mir viel gebracht. Es gibt sehr viel Müll, aber es gibt auch viele schöne Sendungen im Fernsehen.“
… Deutschland sucht den Superstar: „Das ist für mich keine Musik-, sondern eine Entertainment-Sendung, und das unterscheidet DSDS von ‚The Voice‘, bei der es nicht darum geht, Leute vorzuführen oder Skandale zu machen. Bei RTL spielen andere Kriterien eine Rolle als Musik, nämlich die Unterhaltung. Und wenn Deutschland es als Unterhaltung ansieht, sich über andere Leute lustig zu machen im Fernsehen, dann sind die bei RTL genau richtig. Wenn ich so etwas sagen, kriege ich nie wieder eine Sendung bei RTL, und das ist auch gut so.“
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… die Frage, wie es war, 30 zu werden: „Ich fand es super entspannt. Ich freue mich aufs Älterwerden. Ich bin ohne meinen Papa groß geworden, dafür mit meinem Großvater, das heißt, ich bin mit einer männlichen Bezugsperson aufgewachsen, die immer schon weiße Haare hatte. Da wollte ich hinkommen, wollte weise sein, erfahren, eine Familie haben. Ich habe total Bock darauf, da hinzukommen.“
… das Jahr 2024, in dem es weder ein Konzert noch ein Album von ihm geben wird: „Ich bin seit acht Jahren durchgängig auf Tour und habe mein Privatleben hintendran gestellt. Jetzt merke ich, dass meine Freunde und meine Familie nicht jünger werden, und ich wollte das kommende Jahr mal nutzen, um mich um sie zu kümmern und irgendwo anzukommen. 2024 wird es von mir weder ein Konzert noch ein Album geben. Ich muss ja auch Dinge erleben, um Songs schreiben zu können.“