Hamburg. Viel Tolles, aber auch eine verpasste Chance: der große Ausblick auf die Elbphilharmonie-Saison 2023/24.
Viele und vieles wie immer, nur mit anderen Themen und anderen Gesichtern. Auf diese straffe Kurzformel ließe sich das Programm der Elbphilharmonie für die nächste Saison bringen. Viele tolle und etliche sichere Nummern, zahlreiche interessante Ausreißer ins noch Höherklassige neben dem ohnehin prominent besetzten Tagesgeschäft.
Elbphilharmonie-Programm bietet etwas für jeden Geschmack
Kommen die Wiener mal weniger, kommen halt die Berliner Philharmoniker. Oder Boston, London, Amsterdam, Leipzig, Dresden, München oder Oslo … Generalintendant Christoph Lieben-Seutter lobte sein randvolles Sortiment für 2023/24 dann auch als „weltweit einzigartig“, die letzten Corona-Nachrücker seien nun weitestgehend eingearbeitet. Normalbetrieb statt Ausnahmezustand.
Wo dort anfangen? Am ehesten wohl bei einer großen verpassten Chance zum Glänzen, die sich kaum ein anderes Konzerthaus überhaupt leisten würde, weil sie so speziell und kräftezehrend ist: Im März 2024 wird der 100. Geburtstag des italienischen Komponisten Luigi Nono in der Elbphilharmonie gefeiert, wie schön.
Wie wichtig. Mit gerade mal drei Konzerten allerdings nur – und ohne dessen Opus magnum „Prometeo“. Wie schade. Ein Jahrhundertstück, wie geschaffen für die Surround-Möglichkeiten des Großen Saals; 2004 stemmte Ingo Metzmacher es gegen viele Widerstände in die Laeiszhalle. Ging also, sogar dort und schon damals. Nun aber: „Ist noch nicht so weit“, lautete Lieben-Seutters eher salzarme Begründung für diese Repertoire-Lücke.
Gentleman-Pianist Schiff wird gewürdigt
Weit genug ist es ab September für eine so ziemlich alle Vorlieben abdeckende Mischung: Der Gentleman-Pianist Sir András Schiff wird gewürdigt, ebenso die stilistische Vielseitigkeit des Dirigenten Francois-Xavier Roth. Zentralwerke von Bartók kommen zum Zug. Ebenso sehr viele sehr raffiniert gecastete konzertante Opern, eine Angebotssparte, die als Mitbewerber der Staatsoper sicher nicht nur gefällt: Debussys „Pelléas“ mit Ivan Fischer, Glucks „Médée“ mit Sir Simon Rattle, zu Silvester Offenbachs „Orpheus“ mit dem NDR-Orchester und Marc Minkowski sowie Bartóks „Blaubart“ mit Alan Gilbert, eine sicher extrem unkonventionelle „Carmen“ mit René Jacobs.
Konzept-Bündelungen gibt es einige, unter anderem werden mehrere Namen aus der zeitgenössischen Musik größer ins Schaufenster gestellt. Von Altmeister György Kurtág ist dessen sehr späte, erste Beckett-Oper „Fin de partie“ geplant. Roth holt die Aufführung von B. A. Zimmermanns „Monster-Oper“ (Lieben-Seutter) „Die Soldaten“ nach, die viel früher geplant war, szenisch umgesetzt wird das so gut wie nie gewagte Stück von Calixto Bieito.
Jazz-Fans können sich auf eine längere „Reflektor“-Runde mit dem Zeitlupen-Gitarristen Bill Frisell freuen, auf einen Jazz-Harfe-Schwerpunkt und einen All-Star-Gratulationsabend für Manfred Eicher, den Gründer und Chef des ECM-Labels. Für feingeistigen Schmäh-Import aus Wien wurde ein Mini-Festival mit André Heller vereinbart. Im Freistil-Bereich lassen Namen wie Elvis Costello oder der brasilianische Nationalliebling Caetano Veloso aufhorchen. Die Berliner Choreografin Sasha Waltz kehrt mit ihrer Vertanzung von Terry Rileys „In C“ in das Hamburger Konzerthaus zurück.
Elbphilharmonie behält Ticketpreise weitestgehend bei: „Praktisch keine Preiserhöhung“
Weltmusikalisch wird ein Scheinwerfer auf die Kultur Kurdistans gerichtet. Politisch nicht ohne, vorsichtig ausgedrückt, sind auch die drei Termine mit Teodor Currentzis. Der nach wie vor in Russland aktive Dirigent, seit Ukrainekriegs-Beginn in der Debatte, bringt mit seinem SWR-Orchester sowohl Schostakowitschs 13. „Babi Jar“, in der ein Weltkriegs-Massaker vor den Toren Kiews thematisiert wird, als auch Brittens „War Requiem“ nach Hamburg.
Größter Brocken und krönender Abschluss des Musikfests (das Leitmotiv: „Krieg und Frieden“) wird Messiaens Riesen-Oper „Saint Francois d’Assise“ mit Kent Nagano und den Philharmonikern sein. Und warum nur einmal Liszts h-Moll-Sonate in einem Klavierrecital, wenn es auch viermal gehen kann? Die Interpretations-Vergleichstermine erstrecken sich allerdings über ein halbes Jahr.
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Abgesehen von zwei Euro mehr bei den günstigen „Red Tickets“ für junges Kurzfrist-Publikum und Staffelpreisen bei den „Funkelkonzerten“ für ganz Junge gebe es „praktisch keine Preiserhöhung“, sagte Lieben-Seutter. Beim Thema Auslastung war man bislang angenehm überrascht und sei sehr zuversichtlich. Beim Zuschuss der Stadt zum Spielbetrieb sei bislang keine Aufstockung in Sicht. Der Betriebsgesellschaft allerdings „laufen die Kosten davon“, sodass man über eine geldwerte Alternative zum politisch nicht gewollten Plaza-Eintritt nachzudenken habe, gab Lieben-Seutter zu bedenken.
Weitere Infos: www.elphilharmonie.de