Hamburg. Die Staatsoper zeigt Salvatore Sciarrinos Oper „Venere e Adone“. Wie Intendant Delnon den umbrischen Komponisten nach Hamburg holte.

Der eine – wunderschön, die andere – wunderhübsch. Ein Traumpaar, zweimal zwölf von zehn Punkten, bis der junge Mann bei einem mysteriösen Jagdunfall ums Leben kommt. Die Handlung klingt wie aus einer Netflix-Serie durchgepaust, ist aber der rote Faden in einem Klassiker der griechischen Mythologie.

Schon Shakespeare hat an der tragischen Geschichte der Liebesgöttin Venus und ihrer Sahneschnitte Adonis Gefallen gefunden, ebenso Purcells Kompositionslehrer John Blow. Als „Der geliebte Adonis“ von Reinhard Keiser war das Stück anno 1697 im Spielplan der Hamburger Gänsemarktoper. Hans Werner Henze vertonte dieses Drama genau drei Jahrhunderte später. Und nun, am Pfingstsonntag 2023, ist wieder Uraufführung, jetzt an der Staatsoper, ein neuer Blick auf das alte Thema, neu durchdacht vom Italiener Salvatore Sciarrino, dirigiert von Generalmusikdirektor Kent Nagano und in Szene gesetzt vom Hausherrn, Intendant Georges Delnon.

Staatsoper Hamburg: Warum nichts über marode Atomkraftwerke?

Georges Delnon, Intendant der Hamburgischen Staatsoper, holte Salvatore Sciarrino nach Hamburg.
Georges Delnon, Intendant der Hamburgischen Staatsoper, holte Salvatore Sciarrino nach Hamburg. © Roland Magunia

Warum (nicht zum ersten Mal in Sciarrinos beeindruckendem Werkverzeichnis, neben Opern über Komponisten oder historische Gestalten) ein gut abgehangener Stoff, warum nichts frischer Spannendes über, sagen wir: marode Atomkraftwerke, überhitzte Social-Media-Aufreger oder eine Liebe in Zeiten von Klimakrise und rechte Populisten? „Weil unsere mythologischen Stoffe unsere Geschichte sind. Sie sind aktueller als das Sprechen über Kriege und die Gesellschaft und verbinden alle Menschen miteinander.“

Sciarrino, gereifte 76 Jahre jung und ein vielerorts bewunderter Altmeister der Avantgarde, spricht, wie seine Musik sehr oft klingt: behutsam, leicht das Thema umkreisend und gern sanft herausfordernd verrätselt.

Staatsoper: Neue Töne über ein klassisches Liebespaar

Dass er nicht der erste Venus-Adonis-Vertoner ist – mag sein. Aber: nicht so wichtig. Der direkte Vergleich mit Versionen von Kollegen interessiere ihn nicht besonders, das Streben nach den idealen Modellen sei viel wichtiger, „der Wettbewerb mit Monteverdi und Mozart, nicht zwischen uns“. Neue Wege suchen, darum geht es.

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Deswegen widerspricht Sciarrino auch sanft, als es darum geht, dass er als Autodidakt mit dem Komponieren begonnen habe. „Wir studieren das ganze Leben lang! Jemanden für einen Komponisten zu halten, bloß weil er ein Diplom hat, das ist verrückt und dumm. Hatte Beethoven ein Diplom bekommen? Oder Bach?“

Wie der Auftrag aus der Hamburger Staatsopern-Chefetage zu diesem Komponisten in sein beschauliches Heimatstädtchen Città di Castello in Umbrien kam, ist halbwegs schnell erzählt. Er und Delnon kennen sich schon lange, und wird er angefragt, bietet Sciarrino gern mehrere Themenmöglichkeiten an. Gemeinsam werde dann jeweils Passendes herausgefunden. „Nur eine Idee ist zu wenig für mich.“

Komponist Sciarrino: „Ich bin kein Kontrolleur meiner Musik“

Diese Haltung setzt sich durchaus auch in die Vor-Uraufführungszeit fort. Ist Sciarrino bei Proben zugegen und es klemmt womöglich stellenweise, „muss ich Vorschläge machen“, berichtet er, dennoch freundlich bleibend, und ergänzt: „Ich bin kein Kontrolleur meiner Musik. Sie muss uns berühren und darf uns nicht gleichgültig sein. Wir brauchen Interpreten, nicht nur korrekte Spieler oder Sänger.“

Die Suche nach Fassbarem über seine Musik landet schnell bei poetischen Metaphern. Sciarrinos „Sei Capricci“ für Solo-Violine zu hören, das sei, wie sich für 20 Minuten in einen Garten voller Schmetterlinge zu begeben, hat jemand über dessen musikalische Handschrift gestaunt. Dieser Vergleich amüsiert ihn zwar zunächst, gefällt dem dezenten Klang-Gärtner nur bedingt, auch weil man die schmucken kleinen Kunstflieger ja nicht hört.

Staatsopern-Komponist: Komponieren sei wie das Errichten eines Gebäudes

Das Werdenlassen eines Stücks sei für ihn wie das erkennende Nähertreten an ein Gesicht, hatte Sciarrino vor vielen Jahren formuliert. Komponieren sei wie das Errichten eines Gebäudes, verfeinert er nun diese Ansicht, und die Unsicherheit dabei sei das Bewusstsein über unsere Situation als Menschen. Stille? Das deutlich bessere Stichwort um eine Runde weiter zu grübeln: „Stille ist nicht Abwesenheit von Klang, sondern die zweite Ebene unserer Wahrnehmung.“

„Ich bin wie ein Architekt“, erklärt Sciarrino seine Arbeitsweise, „ich brauche eine Mauer nicht zu bauen, um zu wissen, wie sie gebaut sein muss.“ Klavier kann also, muss aber nicht, heißt das. In den letzten Jahren schreibt er eher wenige Stunden täglich am Stück, das aber konzentriert, mit Papier und Stift und oft schon früh am Morgen, danach: Pause, eigentlich. Aber, wie das so ist, wenn die unfertigen Ideen weiter Aufmerksamkeit fordernd im Hinterkopf kreisen: „Ich arbeite immer.“

Im Lauf der Jahre habe sich das Verfestigen seiner schöpferischen Überlegungen mehr und mehr vom Notenpapier ins Vor-Denken verlagert. Ein Lieblingsklang, eine spezielle Instrumentenkonstellation, gibt es so etwas für ihn, um zufrieden sein zu können? „Was gibt Zufriedenheit?“, fragt er freundlich lächelnd zurück. „Dann doch lieber: Was bringt uns in eine andere Dimension? Danach strebe ich. Das Ensemble meiner Klänge ist immer gleich und immer verschieden, seit 50 Jahren.“

Staatsopern-Komponist: Instrumente sollen eher singen als spielen, „das ist mein Traum“

Ein konkretes Lieblingsinstrument wenigstens? Auch nicht so einfach. „Mit der Flöte entdecke ich immer wieder Neues, das ist weniger eine Maschine und mehr wie der Atem. Aber: vielleicht doch alle.“ Auf jeden Fall sollen Instrumente für ihn eher singen als spielen, „das ist mein Traum“.

15 Opern hat Sciarrino inzwischen geschrieben, aber selber gezählt habe er das nie, kommentiert er, fröhlich erstaunt. Nach dem einen Stück ist für ihn immer schon wieder vor dem anderen Stück. „Wenn ich eine neue Oper schreibe, denke ich immer schon an die nächste. Ich glaube, das ist das Leben eines Künstlers. Ein Bedürfnis, das nie zu Ende geht.“

„Venere e Adone“ Premiere am 28.5. Weitere Vorstellungen: 31.5. / 3. / 6. / 8.6. Rahmenprogramm: „Vor der Premiere“ Einführung + Teil einer Bühnenorchesterprobe. 22.5., 18 Uhr, Staatsoper. Porträtkonzert „Am Rande des Schweigens“. 26.5., 19.30 Probebühne 1. Publikumsgespräch mit S. Sciarrino. 28.5., 15 Uhr, Parkett-Foyer. Informationen: www.staatsoper-hamburg.de