Von JOACHIM MISCHKE München - Ein uralter, üppig verästelter Oüvenbaum, Symbol für das mythische Griechenland, steht in der Mitte der Bühne, dahinter ein Himmel, dessen Licht beleuchtet, was unter ihm geschieht. Eingerahmt wird alles von einem klobigen Kuüssen- Gerüst. Der Rahmen hält die karge Wirküchkeit zusammen und gibt ihr Halt, das Theater weist sich selbst in seine Schranken.
In diese zeitentrückte Seelenlandschaft, ein tragisches Jedermannsland, plazierte Bühnenbüdnerin Chloe Obolensky die Dreiecksbeziehungen von Hans Werner Henzes neuer Oper "Venus und Adonis": Der alte Mars ist in die schöne Venus verhebt, sie dagegen gibt dem jungen Adonis den Vorzug.
Nur wenige Schritte vor diesem Tanz-Tableau, in dem die Figuren anfangs mit archaischen, energiegeladenen Gesten zu Fresken erstarren, ist zugleich alles ganz und gar Theater und ganz und gar wie im wirküchen Leben. Auch der Heldendarsteller (Ekkehard Wlaschiha) mit Frack und Notenbuch sehnt sich nach der Primadonna (Nadine
Secunde). Sie aber hat es auf den jungen Tenor demente (Chris Merritt) abgesehen. Während die drei Stimmen schüdern, was die antik maskierten Pantomimen mit stummen Gesten ausdrükken, verschmelzen Wünsche und Wirküchkeiten.
Ein Wechselspiel der Gefühle zwischen Antike und Gegenwart bahnt sich an, das alte Spiel "Boys meet Girl" in immer neuen Variationen, aber immer mit töd- üchem Ausgang: Der Eifersüchtige ersticht den Konkurrenten, im selben Moment meuchelt sein mythologisches Alter ego, zum Eber verwandelt, den jungen Hengst Adonis. Dessen Seele wird zum "stülen Leuchten" und fährt hinauf zum Planeten Venus. Ein himmüsches Happy- End nach gerade mal 70 Minuten.
j, Venus und Adonis" sei ein "ziemüch böses Stück", gab Henze kurz vor der Uraufführung seiner Auftragsarbeit an der Bayerischen Staatsoper zu bedenken. Da war dann wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Das angestrebte Gesamtkunstwerk war kaum aufregend oder gar aggressiv, sondern ledigüch em sinnierendes, um poetische Erhabenheit bemühtes Alterswerk.
Mit einiger Selbstverüebtheit hat Henze sich in Formaüsmen ergangen: drei Sänger, drei Tänzer, drei Pantomimen, ein dreigeteütes Orchester, sieben Boleros, vier Madrigale - offenbar woüte er es sich so schwer wie möghch machen. Bewundernswert, wie wenig das den Fluß des Stücks hemmt, bedauerüch, daß so die Aufmerksamkeit unentwegt auf wechselnde Schwerpunkte verteüt wird.
Die Chorsätze, die einleitende Orchester-Sinfonia und die Zwischenspiele sind so kunstvoll, transparent und klangschön gearbeitet, daß sie und nicht die stimmüch hervorragenden Soüsten die wahren Höhepunkte des Abends waren. Markus Stenz' sensible Pult-Arbeit, vom Bayerischen Staatsorchester makellos umgesetzt, verstärkte diesen Eindruck noch.
Je universaler das Thema, desto schwieriger dann auch dessen Umsetzung, um die sich Regisseur Pierre Audi immerhin redüch bemühte. Doch wo soviel in und zwischen den Textzellen steht, fehlte Audi ein entsprechend gewichtiges Konzept zur Personenführung. Der größte Teü des szenischen Erfolgs geht auf das Ideen-Konto von Choreograph Min Tanaka.
Bei aller leisen Ratlosigkeit: "Venus und Adonis", von dem Münchner Premierenpubükum mit viel Applaus entgegengenommen, wagt einen wehmütigen, leidenschaftüch nachdenkchen Bück auf den Mythos der Oper und das Rätsel der Liebe. Das ist Henzes gutes Recht, es macht aus diesem Einakter zwar das Werk eines Meisters, aber kein Meisterwerk.